Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Kanzlei GRAMS Rechtsanwälte, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München
Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 12/2021 vom 19.06.2021
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ARB-MPM 2009 Ziff. 4.9, 5.5
Sachverhalt
Die Klägerin begehrt von der Beklagten, einem Schadenabwicklungsunternehmen, für ihren mitversicherten Lebensgefährten Deckungsschutz aus einer Rechtsschutzversicherung für die Kosten eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens. Der Arbeitgeber des Versicherten macht gegen diesen Schadensersatzansprüche in Höhe von über 2 Millionen Euro geltend, weil dieser an einer betrügerischen Abrechnung externer Dienstleistungen, die tatsächlich nicht erbracht wurden, zum Nachteil seines Arbeitgebers beteiligt gewesen sein soll. Der Versicherte bestreitet die Vorwürfe.
Das Arbeitsgericht bewilligte ihm Prozesskostenhilfe. Ein Ermittlungsverfahren unter anderem wegen Computerbetrugs im besonders schweren Fall ist anhängig. Gemäß Ziffer 5.5 Satz 1 ARB-MPM 2009 ist der Rechtsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen ausgeschlossen, «soweit … ein ursächlicher Zusammenhang mit einer … vorsätzlich begangenen Straftat besteht».
Das LG stellte die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Deckungsschutz unter dem Vorbehalt der Rückforderung für den Fall eines ursächlichen Zusammenhangs der Schadensersatzansprüche mit einer vorsätzlich begangenen Straftat fest. Das OLG wies die Berufung der Beklagten zurück. Die Versicherung könne nicht jede Leistung bis zur Klärung der Vorsatzfrage im Deckungsprozess verweigern. Auf die vom OLG zugelassene Revision des Versicherers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das OLG zurück.
Rechtliche Wertung
Über den vom Rechtsschutzversicherer erhobenen Einwand einer vorsätzlichen Straftat müsse im Deckungsprozess endgültig entschieden werden, so der BGH. Eine vorläufige Leistungspflicht des Versicherers bestehe nicht. Der Versicherer sei allerdings für die Voraussetzungen eines Risikoausschlusses darlegungs- und beweisbelastet. Der Risikoausschluss sei nicht bereits dann zu verneinen, wenn der Versicherte die Begehung einer Vorsatztat substantiiert bestreite.
Der durchschnittliche Versicherte entnehme dem Wortlaut der Klausel Ziffer 5.5 Satz 1 ARB, dass für den Risikoausschluss eine mit dem Versicherungsfall in Zusammenhang stehende vorsätzliche Straftat objektiv vorliegen müsse. Zudem erkenne er, dass dieser Nachweis nicht von der Durchführung eines Strafverfahrens oder sonstigen Voraussetzungen abhängig sei.
Die Klausel weiche wesentlich von der Regelung des Strafrechts-Rechtsschutzes in Verkehrssachen in Ziffer 4.9 ARB ab. In dieser Klausel sei eine vorläufige Leistungspflicht des Versicherers eindeutig geregelt. Der Rechtsschutz für verkehrsrechtliche Vergehen bestehe zunächst unabhängig von der vorgeworfenen Schuldform. Erst wenn im Strafverfahren rechtskräftig festgestellt werde, dass ein Vergehen vorsätzlich begangen worden sei, sei der Versicherte zur Erstattung der vom Versicherer getragenen Kosten verpflichtet. Das Ergebnis des Strafverfahrens sei nach dieser Regelung für das Versicherungsverhältnis bindend.
Eine solche Bindungswirkung aus einem anderen Verfahren sei in Ziffer 5.5 ARB jedoch gerade nicht geregelt. Angesichts des ganz unterschiedlichen Wortlauts der Klauseln könne der Versicherte nicht davon ausgehen, dass in beiden Fällen inhaltlich das Gleiche gelten solle.
Ein Vergleich mit der Haftpflichtversicherung, in der der Versicherer in Fällen der sogenannten Voraussetzungsidentität an Feststellungen aus dem Haftpflichtprozess gebunden sei, verbiete sich, da der durchschnittliche Versicherte nicht gehalten sei, einen solchen Vergleich mit einer anderen Versicherungssparte anzustellen.
Das OLG müsse daher eigene Feststellungen dazu treffen, ob ein ursächlicher Zusammenhang des Versicherungsfalls mit einer vorsätzlich begangenen Straftat des Versicherten bestehe. Hierfür treffe die Versicherung die Darlegungs- und Beweislast. Dies schütze den Versicherten vor der Aushöhlung seines Versicherungsschutzes.
Praxishinweis
Die hier vom BGH entschiedene Frage war bislang umstritten. Nach einer Auffassung ist der Rechtsschutzversicherer, der begründete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vorsätzlichen Straftat (oder für eine vorsätzliche Verursachung des Versicherungsfalles) hat, ohne vorläufige Leistungspflicht berechtigt, die Deckungsfrage bis zur endgültigen Klärung im Ausgangsprozess zurückzustellen (vgl. LG Duisburg, ZfS 1989, 309; ZfS 1985, 302; LG Heidelberg, ZfS 1984, 17; AG Lingen, ZfS 1985, 19; Böhme, ARB 12. Aufl. § 4 (2) a Rn. 50; ebenso LG Düsseldorf, r+s 1989, 88, jedenfalls für den Fall, dass die persönliche und wirtschaftliche Existenz des Versicherungsnehmers nicht schwerwiegend bedroht ist).
Nach anderer Ansicht ist der Rechtsschutzversicherer verpflichtet, bis zur endgültigen Klärung des Vorliegens einer vorsätzlichen Straftat vorläufig Deckungsschutz zu gewähren (vgl. OLG Frankfurt, VersR 1994, 667; NZV 1989, 314; LG Berlin, r+s 1990, 19; Obarowski in Beckmann/Matusche-Beckmann, VersR-Handbuch 3. Aufl. § 37 Rn. 376; Maier in Harbauer, ARB 2010 § 3 Rn. 229, 243; Looschelders in Looschelders/Paffenholz, ARB 2. Aufl. § 3 ARB 2010 Rn. 192; Brünger in Staudinger/Halm/Wendt, Versicherungsrecht 2. Aufl. § 3 ARB 2010 Rn. 93; Plote in van Bühren/Plote, ARB 3. Aufl. § 3 ARB 2010 Rn. 136).
Die Auffassung, der sich jetzt auch der BGH anschloss, wurde bereits vertreten von Schneider in van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht 7. Aufl. § 13 Rn. 238; Piontek in Prölss/Martin, VVG 31. Aufl. ARB 2010 § 3 Rn. 2, 110).
BGH, Urteil vom 20.05.2021 - IV ZR 324/19 (OLG Zweibrücken), BeckRS 2021, 13204