NJW-Editorial
„Kunst über Kunst“
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Nach langem Ringen sieht es nun ganz so aus, dass der Gesetzgeber die DSM-Richtlinie zeitnah umsetzen wird. Die anstehende Gesetzesänderung regelt insbesondere einen Aspekt, welcher das Literatur- und Kunstschaffen in besonderem Maße betrifft: „Kunst über Kunst“.

11. Mrz 2021

Die Beschäftigung mit künstlerischen Werken anderer Urheber ist eine bedeutende künstlerische Praxis, die stets zu einem rechtlichen Spannungsverhältnis zwischen Urheber und Nutzer des älteren Werks führt. Die Grenzziehung, ob und in welcher Form etwa ein künstlerisches Zitat zulässig ist oder eine Bearbeitung genug Abstand zum Original einhält, ist urheberrechtliches Hochreck. Der Gesetzentwurf enthält hierzu gleich mehrere neue Ansätze: Die Vorschrift des § 24 UrhG, der bisher die Zulässigkeit der freien Benutzung eines anderen Werks vorsieht, entfällt. Künftig wird es entscheidend darauf ankommen, welche Bezugnahme zum fremden Werk schon eine Bearbeitung darstellt, die der Erlaubnis des älteren Urhebers bedarf (§ 23 UrhG-E). Die Kunstformen der Karikatur, der Parodie und des Pastiches ordnet der Gesetzgeber künftig einer neuen Schranke zu (§ 51a UrhG-E). Diese gesetzlichen Änderungen geben Rechtsprechung und Wissenschaft die Chance, die Grenzen des Schutzbereichs eines Werks gegenüber Entnahmen durch Künstler zu aktualisieren, ohne die bisherige Rechtsprechung dazu völlig aufzugeben. Hervorzuheben ist auch, dass der Gesetzgeber mit dem Wegfall des Leistungsschutzrechts für gemeinfreie visuelle Werke (§ 68 UrhG-E) es den Kunstschaffenden ermöglicht, künftig leichter auf Reproduktionen dieser Werke zuzugreifen, was das freie künstlerische Schaffen fördert.

Auch das Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten (UrhDaG) befasst sich mit der künstlerischen Nutzung fremder Werke. Der Plattformbetreiber ist für die Wiedergabe von Inhalten, die das fremde Werk im Rahmen eines Zitats, einer Karikatur, Parodie oder eines Pastiches nutzen, grundsätzlich nicht verantwortlich (§ 6 II UrhDaG). Insoweit verweist § 5 UrhDaG auf die §§ 51, 51a UrhG-E. Auch hier wird die Abgrenzung zwischen erlaubten und unerlaubten Werknutzungen in einem neuen Werk schwierig. Der Künstler selbst wird die Rechtslage oft nur schwer einschätzen können. Der Gesetzgeber hat das gesehen: Die komplexe Vorschrift des § 9 UrhDaG versucht daher, einen Ausgleich zwischen Urheberund Werknutzerinteressen herzustellen, indem Inhalte unter bestimmten Umständen (zunächst) als mutmaßlich erlaubte Nutzungen angesehen werden.

Die Urheberrechtsreform beschäftigt sich also an mehreren Stellen in neuer Weise mit dem künstlerischen Umgang mit vorbestehenden Werken. Ob und inwieweit es zu einer neuen Grenzziehung beim Schutzbereich eines Werks durch die teils neue Systematik kommt, wird die künftige Rechtsprechung zeigen. •

Rechtsanwalt Prof. Dr. Winfried Bullinger ist Partner bei CMS Hasche Sigle, Berlin.