Urteilsanalyse
Kündigung wegen beharrlich verweigerter Besichtigung einer «Messie-Wohnung»
Urteilsanalyse
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Ein wichtiger Grund zur Kündigung liegt nach einem Urteil des AG Ludwigshafen vor, wenn der Mieter den Vermieter nicht in die Wohnung lässt, um den "Messie-Vorwurf" auszuräumen. Durch die absolute Weigerung werde die Befürchtung einer Substanzverletzung des Eigentums nur gesteigert.

9. Mrz 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff,  Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 05/2022 vom 04.03.2022

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Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Beendigung des zwischen ihnen bestandenen Mietverhältnisses.

Der Beklagte ist seit 18 Jahren Mieter der streitgegenständlichen Wohnung. Die Klägerin ist Vermieterin.

Am 19.02.2020 informierte ein Handwerker, der in der Wohnung des Beklagten Reparaturen vornahm, die Klägerin darüber, dass es sich bei der Wohnung des Beklagten um eine „Messie-Wohnung“ handle und er deswegen weitere Arbeiten in der Wohnung ablehne.

Die Klägerin begehrte deshalb Zutritt zu der Wohnung des Beklagten, um die Vorwürfe des Handwerkers überprüfen zu können und teilte dem Beklagten mehrere Besichtigungstermine mit, die der Beklagte ablehnte und stattdessen vorschlug, die Wohnung in drei Monaten besichtigen zu können. Daraufhin erhob die Klägerin eine Duldungsklage.

Am 09.07.2020 erging antragsgemäß ein Versäumnisurteil. Mit Schreiben vom 24.07.2020 kündigte der Klägervertreter die Besichtigung der streitgegenständlichen Wohnung an, schlug drei Besichtigungstermine vor und kündigte gleichzeitig Vollstreckungsandrohung des Versäumnisurteils vom 09.07.2020 an. Nach fruchtlosem Fristablauf setzte der Klägervertreter mit Schreiben vom 19.08.2020 erneut eine Frist bis zum 24.08.2020 zur Bestätigung einer der drei genannten Terminsvorschläge oder zur Benennung eines Ersatztermins, mahnte den Beklagten ab und kündigte eine Kündigung an, sollte der Beklagte weiterhin nicht reagieren. Mit Beschluss vom 14.10.2020 setzte das Amtsgericht Ludwigshafen antragsgemäß Zwangsgeld gegen den Beklagten fest. Der Beklagte reagierte nicht. Der Klägervertreter forderte mit Schreiben vom 05.11.2020 nochmals um Benennung eines Besichtigungstermins auf und erklärte die fristlose und fristgerechte Kündigung wegen Nichtgewährens des Zugangs zu der Wohnung.

Entscheidung

Die Räumungsklage hat Erfolg.

Die Klägerin habe gemäß §§ 546, 985 Abs. 1 BGB einen Räumungs- und Herausgabeanspruch. Die Kündigung vom 05.11.2020 habe das streitgegenständliche Mietverhältnis beendet. Die Kündigung sei gemäß § 543 Abs. 1 BGB wirksam.

Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 Satz 1 BGB könne in jeglicher Pflichtverletzung aus dem Mietvertrag liegen. Dies folge aus dem Wortlaut des § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB. Vorliegend bestehe die Pflichtverletzung des Beklagten darin, der Klägerin als Vermieterin nicht den berechtigten Zutritt zu der vermieteten Wohnung gestattet zu haben. Die Berechtigung der Klägerin folge aus ihrem Eigentumsrecht aus Art. 14 GG. Nach Mitteilung des Handwerkers handle es sich um eine sog. „Messie-Wohnung“. Die Klägerin habe ein anlassbegründetes Interesse daran, zeitnah nach ihrem Eigentum zu schauen.

Die Schwere der Pflichtverletzung, die der Klägerin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beidseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bzw. bis zur sonstigen Beendigung unzumutbar macht, liege in der beharrlichen - bereits seit über einem Jahr andauernden - Weigerung des Beklagten, einem Vertreter der Klägerin den Zutritt zur Überprüfung zu gestatten. Die Klägerin habe stets rechtzeitige Alternativtermine genannt oder um Benennung eines Termins gebeten. Eine Besichtigung wäre auch während der Pandemie - unter Einhaltung der gebotenen Hygienebedingungen und Abstandsregelungen - möglich gewesen. Der Beklagte habe sich nicht einmal durch gerichtlich festgestellte Duldungs- und Vollstreckungstitel beeindrucken lassen.

Zudem habe die Klägerin den Beklagten zuvor abgemahnt, selbst wenn die Abmahnung gem. § 543 Abs. 3 Ziff. 2 BGB im vorliegenden Fall nicht erforderlich gewesen wäre.

Der Beklagte habe keinerlei Entgegenkommen gezeigt, auch nicht in der mündlichen Verhandlung vom 15.03.2021. Er sei ersichtlich nicht bereit gewesen, der Klägerseite einen konkreten Termin zu benennen, zu dem diese die Wohnung besichtigen könne. Es sei deshalb davon auszugehen, dass dies bis zur tatsächlichen Räumung und Herausgabe der Wohnung auch nicht mehr geschehen werde. Wegen des hartnäckigen Weigerns falle der Umstand, dass sich der Beklagte im Übrigen vertragsgemäß verhalte, insbesondere seit 18 Jahren pünktlich und vollständig die Miete zahle, nicht ins Gewicht. Der Beklagte sei gesundheitlich angeschlagen. Er sei dennoch in der Lage gewesen, zum Verhandlungstermin zu erscheinen und scheine auch sonst selbständig zur Bewältigung seines Alltags befähigt zu sein. Er sei deshalb auch in der Lage, angemessenen Ersatzwohnraum zu suchen.

Praxishinweis

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Ein derart langes Zuwarten der Klägerin, das Mietverhältnis zu kündigen, wäre nicht erforderlich gewesen, da der Beklagte bereits mit seiner Weigerung, den titulierten Duldungsanspruch der Klägerin nachzukommen und damit das rechtskräftige Urteil zu akzeptieren, einen außerordentlichen Kündigungsgrund geschaffen hat (Mehle in BeckOGK, 01.01.2022 , § 543 BGB Rn. 78). Die fortgesetzte Weigerung des Beklagten, der Klägerin den Zutritt zu gewähren, ist in hohem Maße belastend für das Mietverhältnis und rechtfertigt die fristlose Kündigung (AG Berlin-Mitte, Urteil vom 27.07.2000 – 2 C 94/99, BeckRS 2000, 31005656). Ähnlich verhält es sich, wenn der Mieter einen gerichtlich protokollierten Vergleichsbetrag trotz Mahnung nicht zahlt (LG Berlin, Urteil vom 24.05.2005 – 65 S 39/05, BeckRS 2005, 19252).

AG Ludwigshafen, Urteil vom 29.03.2021 - 2i C 228/20, BeckRS 2021, 46031