Anmerkung von
RA Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Stuttgart
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 15/2022 vom 20.04.2023
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Sachverhalt
Die Klägerin arbeitete seit dem 01.01.2021 als medizinische Fachangestellte bei der Beklagten, die ein Krankenhaus betreibt. Die Klägerin wurde auf verschiedenen Stationen in der Patientenversorgung eingesetzt. Sie war nicht bereit, sich einer Impfung gegen SARS-CoV-2 zu unterziehen und nahm entsprechende Impfangebote ihrer Arbeitgeberin nicht wahr. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis innerhalb der Wartezeit des § 1 I KSchG mit Schreiben vom 22.07.2021 ordentlich fristgemäß zum 31.08.2021. Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer Klage gewandt und insbesondere geltend gemacht, die Kündigung verstoße gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB. Vor Wirksamwerden der ab dem 15.03.2022 geltenden Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises für das Krankenhauspersonal (vgl. § 20a IfSG) sei sie nicht zu einer Impfung verpflichtet gewesen.
Das ArbG hat der Klage stattgegeben und zur Begründung – zusammengefasst – ausgeführt, die Wartezeitkündigung sei nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 612a BGB unwirksam. Die Klägerin habe ihr Recht ausgeübt, sich nicht gegen SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Ihre Entscheidung sei durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 GG) geschützt, zumal keine gesetzliche COVID-19-Impfpflicht bestanden habe. Aufgrund der Berufung der Beklagten hat das LAG die Klage abgewiesen und die Revision gemäß § 72 II 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Entscheidung
Die Revision der Klägerin hatte vor dem 2. Senat des BAG keinen Erfolg. Das LAG – so heißt es in der Pressemitteilung des BAG (FD-ArbR 2023, 456593) – habe zutreffend angenommen, die Kündigung verstoße nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB. Es fehle an der dafür erforderlichen Kausalität zwischen der Ausübung von Rechten durch den Arbeitnehmer und der benachteiligenden Maßnahme des Arbeitgebers. Das wesentliche Motiv für die Kündigung sei nicht die Weigerung der Klägerin gewesen, sich einer Impfung gegen SARS-CoV-2 zu unterziehen, sondern der beabsichtigte Schutz der Krankenhauspatienten und der übrigen Belegschaft vor einer Infektion durch nicht geimpftes medizinisches Fachpersonal. Dabei sei es rechtlich ohne Bedeutung, dass die Kündigung vor Inkrafttreten der gesetzlichen Impfpflicht erklärt worden sei. Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bestünden keine Bedenken an der Wirksamkeit der Kündigung. Schließlich habe der Senat wegen der nicht erfüllten Wartezeit des § 1 I KSchG nicht darüber zu entscheiden gehabt, ob eine Kündigung wegen fehlender Bereitschaft, sich einer Impfung gegen SARS-CoV-2 zu unterziehen, sozial ungerechtfertigt i.S.v. § 1 KSchG sei.
Praxishinweis
Der Entscheidung ist zuzustimmen. Richtig ist zunächst, dass ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB dann vorliegt, wenn die zulässige Rechtsausübung der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme, ist. Diese Voraussetzung liegt vorliegend nicht vor. Im Übrigen ist die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers während der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 I KSchG durch Art. 12 I GG bzw. durch die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit i.S.v. Art. 2 II GG geschützt. Damit gewährt der Gesetzgeber dem Arbeitgeber das Recht, in der Wartezeit des § 1 I KSchG zu prüfen, ob der neu eingestellte Arbeitnehmer seinen Vorstellungen entspricht. Die Kündigung während der Wartezeit muss also gerade nicht sozial gerechtfertigt i.S.v. § 1 I, II KSchG sein.
Offen bleibt die Frage, wie die Sache ausgegangen wäre, wenn der Arbeitgeber nach Ablauf der Wartezeit gekündigt hätte. Meines Erachtens wäre auch eine solche Kündigung grundsätzlich sozial gerechtfertigt. Allerdings müsste der Arbeitnehmer ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung abgemahnt worden sein. Sollte er sich dann immer noch weigern, sich impfen zu lassen, sollte der Wirksamkeit einer Kündigung nichts mehr im Wege stehen.
BAG, Urteil vom 30.03.2023 - 2 AZR 309/22 (LAG Rheinland-Pfalz)