Urteilsanalyse
Kriterien für die Bemessung der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG
Urteilsanalyse
Lorem Ipsum
© Stefan Yang / stock.adobe.com

Soweit dem Arbeitgeber bzgl. einer verbotenen Benachteiligung bei der Einstellungsentscheidung kein höherer Grad von Verschulden zur Last zu legen ist, ist nach einem Urteil des BAG vom 28.05.2020 i.d.R. ein Betrag i.H.v. 1,5 Bruttomonatsentgelten als Entschädigung angemessen.

17. Sep 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt  Dr. Steffen Krieger, Gleiss Lutz, Düsseldorf

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 36/2020 vom 10.09.2020

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des wöchentlich erscheinenden Fachdienstes Arbeitsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Arbeitsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Arbeitsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenkasse. Der Kläger bewarb sich auf eine bei ihr ausgeschriebene Stelle. Seine Bewerbungsunterlagen waren mit einem deutlichen Hinweis darauf versehen, dass er mit einem GdB von 50 schwerbehindert ist. Gleichwohl wurde der Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.

Mit der Klage macht der Kläger die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 II AGG geltend. Das ArbG wies die Klage ab. Das LAG gab der Klage teilweise statt und sprach dem Kläger eine Entschädigung i.H.v. 1.000 EUR nebst Zinsen zu. Es ging davon aus, eine verbotene Benachteiligung sei wegen des Verstoßes der Beklagten gegen die Einladungspflicht nach § 82 S. 2 SGB IX aF. indiziert. Bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung berücksichtigte das LAG zugunsten der Beklagten: Sie erfülle seit Jahren überobligatorisch ihre Verpflichtungen zur Einstellung von schwerbehinderten Menschen und mache damit deutlich, dass sie deren Rechte sehr ernst nehme. Das zeige sich auch in der Stellenausschreibung, wonach „Bewerbungen von Schwerbehinderten“ ausdrücklich erwünscht seien. Das Ablehnungsschreiben sei freundlich gehalten und enthalte den Hinweis, dass der Kläger sich wieder bewerben möge und dass die Beklagte sich darauf freue. Die Beklagte habe im Gütetermin ein Angebot für ein Vorstellungsgespräch für eine andere, dem Wohnort des Klägers näher gelegene Stelle ausgesprochen. Die Beklagte habe weder die Absicht gehabt, den Kläger zu diskriminieren noch ihn herabzuwürdigen, sondern habe eine reine Bestenauslese durchgeführt. Zudem habe sie die Entschädigung aus Beitragsmitteln von Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufzubringen.

Rechtslage

Die auf die Höhe der festgesetzten Entschädigung beschränkte Revision des Klägers hatte teilweise Erfolg. Nach Ansicht des BAG ist die Entschädigung auf 5.100 EUR festzusetzen.

Die Festsetzung der Entschädigung durch das LAG halte einer Prüfung durch das Revisionsgericht nicht stand. Das LAG sei bei seiner Ermessensausübung rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass es eine Entschädigung von vornherein nur in einem Rahmen von bis zu drei Monatsentgelten festsetzen dürfe. Es habe verkannt, dass es sich bei der Grenze in § 15 II 2 AGG um eine Kappungsgrenze handelt, weshalb zunächst die Höhe der angemessenen Entschädigung zu ermitteln und diese erst dann, wenn sie drei Bruttomonatsentgelte übersteigen sollte, ggf. zu kappen gewesen wäre.

Umstände, die die Motivation der Beklagten betrafen, hätten vom LAG nicht zugunsten der Beklagten berücksichtigt werden dürfen. Dies ergäbe sich daraus, dass die Entschädigung nach § 15 II 2 AGG verschuldungsunabhängig sei. Mit der Erfüllung der Beschäftigungsquote schwerbehinderter Menschen und den Formulierungen in Stellenanzeige und Absage habe die Beklagte lediglich ihre gesetzlichen Pflichten gegenüber Schwerbehinderten erfüllt. Auch die Tatsache, dass die dem Kläger zustehende Entschädigung aus Beitragsmitteln von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu finanzieren ist, habe nicht zugunsten der Beklagten berücksichtigt werden dürfen. Gleiches gelte für die im Gütetermin angebotene Einladung zum Vorstellungsgespräch für eine andere Stelle. Damit könne der durch Nichtberücksichtigung im Bewerbungsverfahren eingetretene Schaden nicht ausgeglichen werden, sodass hierin keine Wiedergutmachung zu sehen sei.

Ausgehend hiervon kommt das BAG zum Ergebnis, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sei eine Entschädigung i.H.v.. ca. 1,5 auf der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttomonatsentgelten angemessen.

Praxishinweis

Rechtspolitisch lässt sich darüber streiten, ob es richtig ist, Entschädigungen für eine Diskriminierung nach dem Entgelt für den jeweiligen Arbeitsplatz zu bemessen (kritisch dazu Bauer/Krieger/Günther, § 15 AGG Rn. 36). Die vorliegende Entscheidung des BAG bestätigt diese Praxis aber ausdrücklich.

Zu erwarten ist, dass sich die Festsetzung einer Entschädigung von ca. 1,5 Bruttomonatsentgelten als Regelwert für den „Normalfall“ einer verbotenen Benachteiligung etablieren wird. Eine Abweichung nach unten lässt sich unter Berücksichtigung der Ausführungen des BAG kaum rechtfertigen. Umgekehrt wäre eine Abweichung nach oben nur dann veranlasst, wenn – ausnahmsweise – ein höherer Verschuldensgrad auf Seiten des Arbeitgebers vorliegt.

BAG, Urteil vom 28.05.2020 - 8 AZR 170/19 (LAG Niedersachsen), BeckRS 2020, 19072