Anmerkung von
Rechtsanwalt Thomas C. Knierim, KNIERIM LORENZ BREIT Rechtsanwälte PartG mbB, Mainz
Aus beck-fachdienst Strafrecht 24/2023 vom 30.11.2023
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Sachverhalt
Seit ca. Juni 2013 richtete der Angekl. X, wie bereits einige Jahre zuvor in den Niederlanden, ein als „Cyberbunker“ bezeichnetes, hochgesichertes Rechen- und Datenverarbeitungszentrum in einer früheren NATO-Bunkeranlage im rheinland-pfälzischen T. ein. Vor dort aus sollen – auch mithilfe der weiteren sieben Angeklagten – hunderttausende Straftaten bis zum polizeilichen Zugriff im September 2019 abgewickelt worden sein. Der X und eine von seinem Sohn XO geführte GmbH vermieteten Serverkapazitäten und warben damit, jeden Inhalt außer Kinderpornographie und Terrorismus zu hosten. Sie sicherten zu, als „Bulletproof-Hoster“ die Inhalte vor jeglichem staatlichem Zugriff zu schützen. Dazu richteten sie verschiedene IP-Adressen ein, die auf die niederländische „Briefkastenfirma“ Zy umgeleitet wurden. Über die Server liefen etwa Drogendeals, Datenhehlerei, Computerangriffe und Falschgeldgeschäfte. Das LG verurteilte die Betreiber wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zu Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr auf Bewährung und mehreren Jahren. Die höchste Strafe erhielt der X als Rädelsführer mit fünf Jahren und neun Monaten. Außerdem ordnete das LG die Einziehung von Taterträgen an. Von anderen Vorwürfen, insbes. der Beihilfe an kriminellen Geschäften auf Internetplattformen oder an Computersabotagen, hat das LG die Angekl. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Sowohl die Angekl. als auch die GenStA legten form- und fristgerecht Revisionen ein.
Entscheidung
Rädelsführer einer kriminellen Vereinigung seien die Mitglieder, die in dem Personenzusammenschluss dadurch eine führende Rolle einnehmen würden, dass sie sich in besonders maßgebender Weise für diesen betätigten. Entscheidend sei dabei nicht der Umfang der geleisteten Beiträge, sondern deren Gewicht für die Vereinigung. Besonders maßgebend sei eine Tätigkeit dann, wenn sie von Einfluss sei auf die Führung der Vereinigung im Ganzen oder in wesentlichen Teilen, wenn also der Täter entweder selbst zu den Führungskräften gehöre oder aber durch sein Tun gleichsam an der Führung mitwirke. Der vom Täter ausgeübte Einfluss müsse der Sache nach beträchtlich sein und sich auf die Vereinigung als solche richten, mithin etwa die Bestimmung der Organisationszwecke, -tätigkeiten oder -ziele, die ideologische Ausrichtung der Vereinigung, deren Organisationsstruktur, oder sonstige Belange mit für die Vereinigung wesentlicher Bedeutung betreffen. Hieran gemessen stehe die Rädelsführerschaft des X außer Frage.
Praxishinweis
Der vorliegende Fall ist für Auslegung des Straftatbestandes der kriminellen Vereinigung (§ 129 Absatz 1 StGB) besonders lehrreich. Zum einen war der an sich straffreie Betrieb eines Rechenzentrums, die Vermietung von Speicherplätzen und Software sowie die Herstellung von Internetzugängen („Hosting“) von einem kriminellen Verhalten abzugrenzen. Zu den wesentlichen Elementen des Straftatbestandes gehört es, dass eine strafbare Konzeption festgestellt wird, der die Mitglieder zustimmen, gemeinschaftlich Straftaten in nicht absehbarer Zahl zu begehen (BGH BeckRS 2023, 7712). Außerdem führt der BGH soweit ersichtlich erstmals aus, dass eine kriminelle Vereinigung mit dem Zweck der Beihilfeleistung zu Straftaten Anderer nicht wissen muss, wie die strafbaren Handlungen der Haupttäter, die nicht Mitglied der kriminellen Vereinigung sein müssen, im Einzelnen verwirklicht werden. Die Entscheidung ist noch aus anderen Gründen bemerkenswert. Die Einziehung von Taterträgen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des neuen Einziehungsrechts fand die Billigung des Senats (Art. 316h S. 1 EGStGB, BVerfG BeckRS 2021, 3384). Auch eine Bezugnahme des Urteilstenors auf eine beigefügte Liste über Einziehungsgegenstände wurde nicht beanstandet (BGH BeckRS 2023, 2834), ebenso eine in den Urteilsgründen fallübergreifend beschriebene, in neun Stehordnern als Anlage zum Urteil genommene Sammlung von Straftaten, die von den Handelsplattformen aus begangen worden sein sollen (BGH BeckRS 1987, 535).
BGH, Urteil vom 12.9.2023 – 3 StR 306/22 BeckRS 2023, 32308