NJW-Editorial
Kriminalität und Integrität
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Das Bundesjustizministerium treibt die Reform des Unternehmenssanktionenrechts voran. „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ lautet die Überschrift des neuen Entwurfs und damit – so die Kritiker der vorherigen Fassung – weniger diffamierend als die Vorversion „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“. Der Entwurf dürfte trotz Coronakrise nach der Sommerpause zum Gesetz erstarken.

21. Mai 2020

Der Entwurf bereitet Sorgen. Strafverfolgungsbehörden kritisieren das Legalitätsprinzip: Wenn bei betriebsbezogenen Straftaten immer auch gleichzeitig gegen das Unternehmen ermittelt werden muss, bindet das Personal und Kosten. Gerade die großen Staatsanwaltschaften äußern, man sei mit dem geltenden Recht der Verbandsgeldbuße doch bisher auch ganz gut klargekommen. Gleichwohl ist nicht zu erwarten, dass der Verfolgungszwang als oberstes Leitmotiv des Entwurfs wieder gestrichen wird. Der Wirtschaft sind die Sanktionen zu scharf: Schon die derzeit geltende Obergrenze von 10 Mio. Euro zuzüglich Gewinnabschöpfung erschien Kritikern inakzeptabel. Nun sollen sogar bis zu 10 % des Konzernjahresumsatzes fällig werden, wenn Mitarbeiter sich einer betriebsbezogenen „Verbandsstraftat“ schuldig machen. Wer allerdings genau hinschaut, weiß, dass umsatzbezogene Bußgelder schon länger auf dem Vormarsch sind, etwa im Kartell- oder im Wertpapierbußgeldrecht.

Was zu einer zentralen Problematik des Entwurfs für alle führt: Generell bleibt das derzeitige Recht der Verbandsgeldbuße anwendbar, das Verbandssanktionengesetz wird insoweit lex specialis für betriebsbezogene Straftaten in Wirtschaftsunternehmen. Es wird Konstellationen geben, in denen sowohl Straftaten als auch Ordnungswidrigkeiten ermittelt werden und beide Systeme nebeneinander herlaufen – mit unterschiedlichen Prozessmaximen, behördlichen Kompetenzen und Sanktionsvoraussetzungen. Spannend werden auch Fälle, in denen sich der Ursprungsverdacht auf eine Verbandsstraftat in einen Verdacht auf eine Ordnungswidrigkeit wandelt und damit plötzlich anderes (Verfahrens-)Recht gilt.

Anleihen aus dem angelsächsischen Recht nimmt der Entwurf im Hinblick auf interne Ermittlungen, bei deren ordnungsgemäßer Durchführung ein Sanktionsrabatt von bis zu 50 % erreicht werden kann. Ob der Unternehmensverteidiger („böser Anwalt“) die internen Ermittlungen nicht durchführen dürfen soll, sondern allenfalls ein anderer („guter Anwalt“), wird wohl noch diskutiert. Kostengesichtspunkte und auch das katastrophale Bild, das der Entwurf vom Unternehmensverteidiger zeichnet, sprechen deutlich gegen diese Regelung.

Ab Inkrafttreten des Gesetzes haben wir zumindest zwei Jahre Zeit, uns an die Neuerungen zu gewöhnen. Dann wird es Ernst mit der Stärkung der Integrität. •

Rechtsanwalt Dr. André-M. Szesny, LL.M., ist Partner der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf.