Urteilsanalyse
Krankheitsbedingter Ausfall des Rechtsanwalts am letzten Tag der Frist
urteil_lupe
© Stefan Yang / stock.adobe.com

Der krankheitsbedingte Ausfall des Rechtsanwalts am letzten Tag der Frist rechtfertigt für sich genommen noch keine Wiedereinsetzung. An einer schuldhaften Fristversäumung fehlt es nach Ansicht des BGH nur dann, wenn infolge der Erkrankung weder kurzfristig ein Vertreter eingeschaltet noch ein Verlängerungsantrag gestellt werden konnte; dies ist glaubhaft zu machen.

20. Apr 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe 

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 08/2021 vom 16.04.2021

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Zivilverfahrensrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Zivilverfahrensrecht beinhaltet er eine ergänzende Leitsatzübersicht. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Zivilverfahrensrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de


Sachverhalt 

Gegen die Entscheidung des Familiengerichts in einer Unterhaltssache hatte der unterlegene Antragsgegner durch seine (mit einer weiteren Kollegin in ihrer Kanzlei tätige) Verfahrensbevollmächtigte rechtzeitig Beschwerde eingelegt. Am Tag des Ablaufs der antragsgemäß verlängerten Beschwerdebegründungsfrist (04.11.2019) hat der Antragsgegner eine weitere Verlängerung der Frist beantragt, weil seine Verfahrensbevollmächtigte in den drei Tagen zuvor erkrankt, eine Mitarbeiterin der Verfahrensbevollmächtigten in Urlaub und weitere fristgebundene Schriftsätze zu erledigen gewesen seien; zugleich hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin einer weiteren Fristverlängerung nicht zugestimmt habe. Die Beschwerdebegründung ist am Folgetag beim OLG eingegangen. Das OLG hat mit Verfügung vom gleichen Tag darauf hingewiesen, dass eine zweite Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist nur mit Zustimmung der Gegenseite möglich sei. Hierauf hat der Antragsgegner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und vorgetragen, der Beschwerdesenat sei am Tag des Fristablaufs nicht erreichbar gewesen. Es sei nicht auszuschließen, dass durch eine Nachfrage der Senatsvorsitzenden eine Zustimmung der Gegenseite zur Fristverlängerung erreichbar gewesen wäre. Die Erkrankung der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners habe bereits in der Nacht 28./29.10.2019 begonnen und am 01.11.2019 „durchgeschlagen“. Als sie die Arbeit am 04.11.2019 wieder aufgenommen habe, sei sie nicht gesund gewesen; am Nachmittag habe sie festgestellt, dass sie die Beschwerdebegründung krankheitshalber unvorhergesehen nicht werde fertigstellen können.

Das OLG hat die Anträge auf Fristverlängerung und Wiedereinsetzung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist über einen Monat hinaus gem. §§ 117 I 4 FamFG, 520 II 3 ZPO mangels Zustimmung der Antragstellerin nicht möglich sei. Dem Antragsgegner sei auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren, da nach seinem eigenen Vorbringen keine unverschuldete Säumnis vorliege, wobei ihm ein Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten gem. § 85 II ZPO zugerechnet werde. Insoweit komme es nicht darauf an, dass die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners den Beschwerdesenat am letzten Tag der verlängerten Beschwerdebegründungsfrist nicht habe erreichen können, da die gesetzlichen Voraussetzungen einer Fristverlängerung mit den Senatsmitgliedern nicht verhandelbar seien. Ebenso wenig vermöge es die Antragsgegnervertreterin von der Einhaltung gesetzlicher Frist zu entbinden, dass ihr Sekretariat in den 14 Tagen vor Fristablauf wegen Urlaubs nur mit einer Mitarbeiterin besetzt gewesen sei, weil der reibungslose interne Kanzleiablauf durch entsprechende organisatorische Maßnahmen hätte sichergestellt werden müssen. Nach ihrem eigenen Vorbringen sei die Antragsgegnervertreterin am Tag des Fristablaufs wieder arbeitsfähig und damit nicht krankheitsbedingt an der Erstellung der Beschwerdebegründung gehindert gewesen. Soweit sie nachfolgend auf eine Erkrankung bzw. eingeschränkte Arbeitsfähigkeit vom 29.10. – 05.11.2019 verwiesen habe, sei dieser Sachvortrag unsubstantiiert; zudem wäre der Antragsgegnervertreterin bei einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit seit dem 29.10.2019 genug Zeit verblieben, durch entsprechende organisatorische Maßnahmen und die Zurückstellung weniger eilbedürftiger Sachen die Beschwerdebegründung fristgerecht zu erstellen.

Entscheidung: Es fehlt an Vortrag dazu, dass fristwahrende Maßnahmen nicht mehr möglich bzw. zumutbar waren

Der BGH hat die hiergegen gerichtete (ohne weiteres statthafte, §§ 112 Nr. 1, 113 I FamFG, §§ 238 II, 522 I 4, 574 I 1 Nr. 1 ZPO) Rechtsbeschwerde des Antragsgegners als unzulässig verworfen, weil die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 II ZPO nicht vorlägen; entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletze die angefochtene Entscheidung insbes. weder den Anspruch des Antragsgegners auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) noch sein Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 I, 19 IV, 20 III GG). Die Ausführungen des OLG hielten sich im Rahmen der Rspr. des BGH. Nach dieser müsse ein Rechtsanwalt selbst bei einer unvorhergesehenen Erkrankung alle ihm dann noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Frist ergreifen. Auch der krankheitsbedingte Ausfall des Rechtsanwalts am letzten Tag der Frist rechtfertige für sich genommen deshalb eine Wiedereinsetzung noch nicht. Vielmehr fehle es an einem dem Verfahrensbeteiligten gem. §§ 112 Nr. 1, 113 I 2 FamFG, 85 II ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Rechtsanwalts nur dann, wenn infolge der Erkrankung weder kurzfristig ein Vertreter eingeschaltet noch ein Fristverlängerungsantrag habe gestellt werden können, was glaubhaft zu machen sei. Der Wiedereinsetzungsantrag lasse aber nicht erkennen, dass die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners alle ihr trotz der (unvorhergesehenen) Situation möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung der Beschwerdebegründungsfrist unternommen habe. Der von ihr gestellte Fristverlängerungsantrag sei keine zur Wahrung der Frist geeignete Maßnahme gewesen, weil die nach §§ 112 Nr. 1, 117 I 4 FamFG, § 520 II 3 ZPO bestehende Möglichkeit einer Fristverlängerung um bis zu einem Monat ohne Einverständnis des Gegners bereits durch die erste Fristverlängerung ausgeschöpft gewesen sei und die Antragstellerin, wie der Antragsgegnervertreterin vor Einreichung des Fristverlängerungsantrags sogar bekannt gewesen sei, zu einer danach erforderlichen Zustimmung nicht bereit gewesen sei. IÜ fehle es an (nach Ablauf der Frist des § 234 I ZPO nicht mehr nachholbarem) Vortrag dazu, dass es der Verfahrensbevollmächtigten nicht möglich und zumutbar gewesen wäre, bis zum Fristablauf die Beschwerdebegründung selbst zu fertigen oder durch Einschaltung eines Vertreters eine Fertigung durch diesen zu veranlassen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen lässt sich dem anwaltlich versicherten Vorbringen zum Wiedereinsetzungsantrag nicht entnehmen. Insbes. trage die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners nichts dazu vor, ob und ggf. inwieweit sie im Rahmen der Organisation ihrer Kanzlei Vorkehrungen dafür getroffen habe, dass im Falle ihrer Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen vornehme, obwohl eine Vertretungsregelung hier im Hinblick auf die in ihrer Kanzlei tätige Kollegin besonders naheliege.

Praxishinweis 

Nach stRspr des BGH (vgl. allg. Toussaint NJW 2014, 200) gilt, dass der Rechtsanwalt

  • allgemeine Vorkehrungen für den Fall seines unvorhergesehenen Ausfalls treffen
  • und dann, wenn dieser Fall eintritt, alles, aber auch nur das unternehmen muss, was ihm zur Fristwahrung dann noch möglich und zumutbar ist.

Wird eine Frist wegen eines unvorhergesehenen Ausfalls des Prozess- bzw. Verfahrensbevollmächtigten versäumt, muss in einem Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der Frist des § 234 I ZPO im Einzelnen dargelegt und glaubhaft gemacht werden, dass dieser seinen diesbezüglichen Pflichten nachgekommen ist (woran es im besprochenen Fall letztlich vollständig fehlte). Als mögliches und zumutbares Mittel zur Fristwahrung wird in erster Linie ein (ggf. auch durch einen Vertreter gestellter) Fristverlängerungsantrag in Betracht kommen. Hängt die Gewährung der Fristverlängerung von der Einwilligung der Gegenseite ab, muss allerdings diese Einwilligung zuvor auch eingeholt und dem Gericht mitgeteilt werden. Wird dies versäumt, ist dies allerdings unschädlich, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Gegenseite – unerwarteterweise! – die Einwilligung nicht erteilt hätte (vgl. BGH NJW 2020, 157 mAnm Toussaint FD-ZVR 2019, 421256). Steht allerdings, wie im besprochenen Fall, bereits fest, dass eine solche Einwilligung nicht erteilt wird, ist ein Fristverlängerungsantrag zur Fristwahrung von vornherein ungeeignet. Dann kommt es allein auf die Frage an, ob die Vornahme der fristgebundenen Prozesshandlung selbst noch (ggf. durch einen Vertreter) möglich und zumutbar war; eine kurzfristige Rechtsmittelbegründung durch einen Vertreter wird dabei regelmäßig nicht in Betracht kommen (vgl. BGH, VersR 1990, 1026 = BeckRS 1990, 30391062; NJW 2011, 1601 Rn. 19).

BGH, Beschluss vom 10.02.2021 - XII ZB 4/20, BeckRS 2021, 5756