Urteilsanalyse
Kopftuchverbot - nicht Neues aus Erfurt
Urteilsanalyse
Lorem Ipsum
© Stefan Yang / stock.adobe.com

Eine gesetzliche Regelung, die das Tragen eines sog. islamischen Kopftuchs durch eine Lehrkraft im Dienst einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule ohne weiteres verbietet, greift in die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG ein. Ein solches Gesetz ist nach einem Urteil des BAG vom 27.08.2020  dahin auszulegen, dass das Verbot des Tragens des Kopftuchs nur im Fall einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gilt.

23. Sep 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt  Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 37/2020 vom 17.09.2020

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des wöchentlich erscheinenden Fachdienstes Arbeitsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Arbeitsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Arbeitsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Die Klägerin ist Diplom-Informatikerin. Sie bezeichnet sich als gläubige Muslima und trägt als Ausdruck ihrer Glaubensüberzeugung ein Kopftuch. Sie bewarb sich beim beklagten Land im Rahmen eines Quereinstiegs mit berufsbegleitendem Referendariat für eine Beschäftigung als Lehrerin in den Fächern Informatik und Mathematik in der Integrierten Sekundarschule (ISS), im Gymnasium oder der Beruflichen Schule. Das beklagte Land lud sie zu einem Bewerbungsgespräch ein. Im Anschluss an dieses Gespräch, bei dem die Klägerin ein Kopftuch trug, sprach sie ein Mitarbeiter der Zentralen Bewerbungsstelle auf die Rechtslage nach dem sog. Berliner Neutralitätsgesetz an, das in § 2 bestimmt:

„Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.“

Die Klägerin erklärte dennoch, sie werde das Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen. Nachdem ihre Bewerbung erfolglos geblieben war, nahm die Klägerin das beklagte Land zur Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG in Anspruch. Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat der Klägerin eine Entschädigung i.H.v. 5.159,88 EUR zugesprochen. Gegen diese Entscheidung hat das beklagte Land Revision eingelegt, mit der es sein Begehren nach Klagabweisung weiterverfolgt. Die Klägerin hat Anschlussrevision eingelegt, mit welcher sie die Zahlung einer höheren Entschädigung begehrt.

Entscheidung

Sowohl die Revision des beklagten Landes als auch die Anschlussrevision der Klägerin hatten vor dem 8. Senat des BAG keinen Erfolg. Die Klägerin könne nach § 15 II AGG wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot nach § 8 I AGG die Zahlung einer Entschädigung i.H.v. 5.159,88 EUR verlangen. Sie habe als erfolglose Bewerberin eine unmittelbare Benachteiligung i.S.v. § 3 I AGG erfahren. Der Umstand, dass ein Mitarbeiter der Zentralen Bewerbungsstelle die Klägerin auf die Rechtslage nach dem sog. Berliner Neutralitätsgesetz angesprochen und die Klägerin daraufhin erklärt habe, sie werde das Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen, begründe die Vermutung, dass die Klägerin wegen der Religion benachteiligt wurde. Die Benachteiligung sei nicht nach § 8 I AGG gerechtfertigt. Eine Regelung, die – wie § 2 Berliner Neutralitätsgesetz – das Tragen eines sog. islamischen Kopftuchs durch eine Lehrkraft im Dienst ohne weiteres, d.h. schon wegen der bloßen abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule, verbiete, führe zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG, sofern das Tragen des Kopftuchs – wie hier im Fall der Klägerin – nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen sei. § 2 Berliner Neutralitätsgesetz sei in diesen Fällen daher verfassungskonform dahin auszulegen, dass das Verbot des Tragens des Kopftuchs nur im Fall einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gelte. Eine solche konkrete Gefahr habe das beklagte Land indes nicht dargetan. Die Entscheidung des LAG über die Höhe der Entschädigung halte im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Kontrolle stand.

Praxishinweis

Die Entscheidung überrascht nicht. Das Kopftuch muslimischer Lehrerinnen an öffentlichen Schulen erhitzt seit vielen Jahren die Gemüter. Mit dem umstrittenen Beschluss vom 27.1.2015 (BeckRS 2015, 42522) hat das BVerfG entschieden, ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen von Lehrkräften in öffentlichen Schulen sei mit der Religionsfreiheit gem. Art. 4 I und II GG nicht vereinbar. An diese Rspr. war und ist das BAG gebunden (§ 31 I BVerfGG). Die Vorgaben des BVerfG überzeugen mich allerdings nicht (vgl. die abweichende Meinung der Bundesverfassungsrichter Schluckebier und Hermanns, NJW 2015, 1369).

Hinweis: Die Anmerkung beruht auf der Pressemitteilung des Gerichts (FD-ArbR 2020, 431726).

BAG, Urteil vom 27.08.2020 - 8 AZR 62/19 (LAG Berlin-Brandenburg)