Aus der Anwaltschaft

Konsequente Digitalisierung?
Aus der Anwaltschaft
hkama / Adobe

Die Justizminister wollen die Justiz digitalisieren. Im Fokus stehen die Kommunikation und die Verfahren. Für die Anwaltschaft bringt dies Veränderungen.

7. Jul 2025

Wenn es nach dem Digitalgipfel der Justizminister von Bund und Ländern vom 5.6. geht, sollen eine konsequente Digitalisierung und der Einsatz von KI die Justiz handlungsfähig halten und zugleich den Rechtsstaat stärken. Dies sind starke Worte seitens der Justiz. Knappe Kassen und unterschiedliche föderale Interessen waren bisher eher Bremsen des Fortschritts. Schon die Einführung der Videotechnologie in Gerichtsver­fahren führte in der zurückliegenden Legislaturperiode zu heftigstem Widerstand der Länder. Die Dokumen­tation der Hauptverhandlung scheiterte sogar am Bundesrat. Und der elektronische Rechtsverkehr endet in vielen Gerichten immer noch mangels technischer Ausstattung im Drucker, während für die Anwaltschaft die ­Arbeit mit dem beA längst Alltag geworden ist. Das Ziel ist also ambitioniert. Immerhin formulierte eine durch das damalige Bundesjustizministerium und die Länder eingesetzte Reformkommission, an der auch die Anwaltschaft beteiligt war, binnen Halbjahresfrist Ende ­Januar Handlungsempfehlungen, die der Digitalgipfel aufgreift. Dazu gehörten die Entwicklung eines gemeinsamen Bund-Länder-Justizportals und einer bundeseinheitlichen Kommunikationsplattform sowie die Erprobung von Online-Verfahren. Bis Ende 2026 sollen die ersten Maßnahmen zumindest initiiert sein.

Produkte und „Sandboxes“

Vorreiter in Sachen digitaler Transformation der Justiz ist ohne Zweifel das Bundesjustizministerium (BMJV). Dieses wartet bereits jetzt mit einigen neuen digitalen Tools auf, die den Bürgern den Zugang zum Recht erleichtern sollen, was bisher Aufgabe der Anwaltschaft war. Aus der „Produktschmiede“ des Ministeriums angekündigt sind Wegweiser zur Kontopfändung und zur Beratungshilfe. Aktiv ist bereits eine Unterstützung bei der Überprüfung der Möglichkeiten, Pkh zu erhalten. „Highlight“ der Angebotspalette ist die digitale Klage für Fluggastrechte. Der noch im Erprobungsstadium befindliche Onlinedienst ermöglicht Bürgern zur Durch­setzung ihrer Ansprüche einen Vorab-Check und die Einreichung einer digitalen Klage bei ausgewählten Amtsgerichten. Dass diese amtsgerichtlichen Verfahren ohne Anwälte betrieben werden können, ist Gesetz. Die Anwaltschaft sollte deshalb diese als „Sandboxes“ bezeichneten Entwicklungen sehr ernst nehmen, weil sie Vorreiter für die digitale Transformation von Gerichtsverfahren sind und der Verbraucherschutz den Zugang zum Recht in gerichtlichen Verfahren ohne anwaltliche Vertretung grundlegend verändern kann.

Zivilgerichtliches Online-Verfahren

Den gesetzgeberischen Willen zur Digitalisierung der Gerichtsverfahren unterstreicht der aktuelle Referentenentwurf des BMJV zur Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit. Ganz neu ist dieser Entwurf nicht, wurde er doch bereits in der letzten ­Legislaturperiode in den Bundestag eingebracht, war jedoch der Diskontinuität anheimgefallen. Weil dieses Projekt im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung vereinbart und auch bereits mit den Ländern abgestimmt ist, sollte ein Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens noch in diesem Jahr zu erwarten sein.

Ziel der Initiative ist zunächst die Erprobung neuer Technologien, Kommunikationsformen und Verfahrens­abläufe unter möglichst realen Bedingungen an aus­gesuchten Gerichten. In einem neuen 12. Buch der ZPO werden die Möglichkeiten für ein ausschließlich digitales Gerichtsverfahren eröffnet. Die Testphase beschränkt sich zunächst auf Klagen vor den Amtsgerichten. Für die Anwaltschaft rechnet sich spätestens jetzt der Aufbau des beA, weil dessen Infrastruktur in die Erprobung einbezogen wird. Neben der digitalen Klage­erhebung über ein bundeseinheitliches Eingabesystem gilt es, einige Paradigmenwechsel für alle Beteiligten zu akzeptieren. Dazu gehören erweiterte Möglichkeiten eines Verfahrens ohne mündliche Verhandlung, die Ausweitung von Videoverhandlungen und Erleichterungen im Beweisverfahren bis hin zur Ersetzung der Urteilsverkündung durch dessen Zustellung. Für Diskussionsstoff sorgen wird auch die Strukturierung des Streitvortrags nach bestimmten Standards und in bestimmten Dokumenten – für die Anwaltschaft bisher ein höchst umstrittenes Vorhaben.

Das Erprobungsgesetz ist auf einen Zeitraum von zehn Jahren angelegt und soll jeweils nach vier und acht ­Jahren evaluiert werden. Die Frage nach der digitalen Zukunft muss an dieser Stelle erlaubt sein. Konsequent wäre eine kürzere Erprobung, um nicht den Anschluss an die digitale Entwicklungen zu verpassen.

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Stephan Göcken ist Rechtsanwalt und Hauptgeschäftsführer der BRAK, Berlin.