NJW-Editorial
Konflikt beim Klimaschutz
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NJW_33_2021_Frenz_WEB
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Das Klimaschutzrecht ist Mitte Juli wieder in besonderer Weise ins Blickfeld geraten: Zum einen durch die zerstörerische Jahrhundertflut, die zunächst über Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, danach auch über Bayern und Sachsen sowie andere Länder hereinbrach und die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht werden kann. Und zum anderen durch das Klimapaket „Fit for 55“, das die Europäische Kommission just an dem Tag vorlegte, an dem die ­dramatische Hochwasserlage hierzulande begann.

12. Aug 2021

Die Kommission hat damit das Instrumentarium präsentiert, mit welchem sie das im EU-Klimagesetz auf 55 % angehobene CO2-Reduktionsziel bis 2030 erreichen und zugleich den im Green Deal angestoßenen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft auf die Treibhausgasneutralität bis 2050 realisieren will. Dabei wird zugleich deutlich, wie viele Bereiche die Europäische Union dabei regulieren will: Sie will das Emissionshandelssystem verschärfen und verbreitern, die Ausgaben für den Klimaschutz erhöhen, den Ausbau der erneuerbaren Energien bis 2030 auf 40 % steigern und die Energie­effizienzrichtlinie anspruchsvoller gestalten. Verbrennungsmotoren in Neufahrzeugen soll es nur noch bis 2035 geben. Zugleich soll dem Steuerrecht eine erhebliche Rolle zukommen sowie unter anderem durch das neue CO2-Grenzausgleichssystem der internationale Klimaschutz gestärkt werden. Europa soll insoweit Vorbild sein.

Das liegt parallel zum Klimabeschluss des BVerfG (NJW 2021, 1723), der in Deutschland ebenfalls einen tiefgreifenden Umbau des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems notwendig werden lässt, sollen die künftigen Generationen nicht allzu schwere Lasten für den Klimaschutz tragen müssen. Je mehr aber der EU-Klimaschutz reguliert wird, desto eher sind die EU-Grundrechte heranzuziehen. Der EuGH (Urt. v. 25.3.2021 – C-565/19 P, BeckRS 2021, 5531) hält allerdings Klimaschutzklagen für unzulässig, und das EuG (Urt. v. 23.11.2005 – T-178/05, BeckRS 2005, 70893 ) betonte die notwendige Verwirklichung des Klimaschutzes durch Emissionshandel unter Wahrung der Bedürfnisse der Wirtschaft – von denen im Klimabeschluss des BVerfG kaum die Rede ist. Vielmehr limitiert der Klimaschutz die grundrechtliche Freiheit im CO2-relevanten Bereich auf ein zu verteilendes Gesamtmaß und setzt sich im Konfliktfall regelmäßig durch. Solchermaßen zugemessene Freiheit steht gegen a priori unbegrenzte, nur gleichgewichtig abwägbare Freiheit nach Unionsrecht. Über kurz oder lang stellt sich damit die Frage: Steuert auch der EuGH um zu mehr Klimaschutz – oder haben wir hier den nächsten Konflikt zwischen Luxemburg und Karlsruhe? Letztlich wird sich der EU-Klimaschutz und damit auch der EU-Grundrechtsschutz durchsetzen.

Prof. Dr. Walter Frenz lehrt und forscht zum Berg-, Umwelt- und Europarechtan der RWTH Aachen University.