Urteilsanalyse

Kom­man­di­tis­ten­haf­tung für Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten der in­sol­ven­ten Ge­sell­schaft
Urteilsanalyse
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Die per­sön­li­che Haf­tung des Kom­man­di­tis­ten nach §§ 171, 172 Abs. 4, 161 Abs. 2, 128 HGB be­steht nach einem Ur­teil des BGH vom 15.12.2021 bei In­sol­venz der Ge­sell­schaft je­den­falls für sol­che Ge­sell­schafts­ver­bind­lich­kei­ten, die bis zur Er­öff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens be­grün­det wor­den sind. Auf die in­sol­venz­recht­li­che Ein­ord­nung die­ser Ver­bind­lich­kei­ten komme es dabei nicht an.

8. Mrz 2021

An­mer­kung von

Rechts­an­walt Dr. Mi­cha­el Ro­zi­jn, Schult­ze & Braun GmbH Rechts­an­walts­ge­sell­schaft

Aus beck-fach­dienst In­sol­venz­recht 05/2021 vom 04.03.2021

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Der Klä­ger war In­sol­venz­ver­wal­ter einer Pu­bli­kums­fonds­ge­sell­schaft zum Be­trieb eines Tank­schiffs und in der Rechts­form der GmbH & Co. KG (Schuld­ne­rin). Vor der In­sol­ven­zer­öff­nung in 2013 wech­sel­te die Schuld­ne­rin die steu­er­li­che Ge­winn­ermitt­lungs­art, wor­auf­hin der Un­ter­schieds­be­trag zwi­schen Buch- und Teil­wert des Tank­schiffs fest­ge­stellt wurde. Im Jahr 2014 ver­kauf­te der Klä­ger das Schiff. Bei der Fest­set­zung der Ge­wer­be­steu­er für 2014 wurde der in 2013 fest­ge­stell­te Un­ter­schieds­be­trag dem Ge­winn gem. § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 EStG hin­zu­ge­rech­net. Die Ge­wer­be­steu­er­for­de­rung wurde als Mas­se­for­de­rung gel­tend ge­macht.

Der Be­klag­te war Kom­man­di­tist der Schuld­ne­rin und er­hielt über meh­re­re Jahre Aus­schüt­tun­gen. Im Zeit­punkt der Aus­schüt­tun­gen war sein Ka­pi­tal­an­teil durch Ver­lus­te unter den Be­trag sei­ner Haft­s­um­me her­ab­ge­min­dert.

Der Klä­ger hat mit sei­ner Klage den Be­klag­ten auf Zah­lung des Dif­fe­renz­be­tra­ges im Haupt­an­trag aus Au­ßen­haf­tung nach §§ 171, 172 Abs. 4, 161 Abs. 2, 128 sowie hilfs­wei­se zur Durch­füh­rung des In­nen­aus­gleichs unter den Ge­sell­schaf­tern der Schuld­ne­rin in An­spruch ge­nom­men.

Das LG hat die Klage ab­ge­wie­sen. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat die Be­ru­fung des Klä­gers durch Be­schluss zu­rück­ge­wie­sen. 

Ent­schei­dung

Der BGH hat den Be­schluss auf die Re­vi­si­on des Klä­gers im Hin­blick auf die Au­ßen­haf­tung des Be­klag­ten auf­ge­ho­ben und die Sache an das Be­ru­fungs­ge­richt zu­rück­ver­wie­sen.

Der BGH be­stä­tig­te das Wie­der­auf­le­ben der Au­ßen­haf­tung des Be­klag­ten durch die Aus­schüt­tun­gen nach §§ 171, 172 Abs. 4, 161 Abs. 2, 128 HGB. Diese Au­ßen­haf­tung um­fas­se auch die Ge­wer­be­steu­er­for­de­rung, ohne dass ihre in­sol­venz­recht­li­che Ein­ord­nung als Mas­se­ver­bind­lich­keit dem ent­ge­gen­ste­he.

Die Ge­wer­be­steu­er­for­de­rung sei eine Ver­bind­lich­keit der Ge­sell­schaft. Hier­für hafte der Kom­man­di­tist nach §§ 171 Abs. 1 Hs. 1, 172 Abs. 4, 162 Abs. 2, 128 HGB grund­sätz­lich per­sön­lich un­be­schränkt. In der Ge­sell­schafts­in­sol­venz sei die Haf­tung aber unter te­leo­lo­gi­scher Re­duk­ti­on des § 128 HGB zu be­gren­zen. Ähn­lich wie beim Aus­schei­den aus der Ge­sell­schaft ver­lie­re ein Kom­man­di­tist im Re­ge­lin­sol­venz­ver­fah­ren mit Über­gang der Ver­wal­tungs- und Ver­fü­gungs­be­fug­nis auf den In­sol­venz­ver­wal­ter die Mög­lich­keit zur Ein­fluss­nah­me auf die Ent­wick­lung der Ge­sell­schaft. Die Haf­tung des aus­ge­schie­de­nen Ge­sell­schaf­ters sei gem. § 160 HGB auf Alt­ver­bind­lich­kei­ten re­du­ziert, so dass für den In­sol­venz­fall die Kom­man­di­tis­ten­haf­tung eben­falls zu be­schrän­ken sei.

Auf­grund die­ses Ver­glei­ches der In­ter­es­sen­la­gen müsse die Au­ßen­haf­tung des Kom­man­di­tis­ten je­den­falls die Ver­bind­lich­kei­ten um­fas­sen, für die ein aus­ge­schie­de­ner Ge­sell­schaf­ter nach § 160 HGB hafte. Die in­sol­venz- und steu­er­recht­li­che Be­trach­tung sei daher für die Ab­gren­zung des Um­fangs der Kom­man­di­tis­ten­haf­tung nicht ma­ß­geb­lich. Für die ge­sell­schafts­recht­li­che Be­stim­mung als „Alt­ver­bind­lich­keit“ im Sinne von § 160 HGB stell­te der BGH für die Steu­er­for­de­rung dar­auf ab, dass der Grund der Be­steue­rung zu einem Zeit­punkt ge­legt wurde, zu dem der Kom­man­di­tist noch Ein­fluss neh­men konn­te und die Füh­rung der Ge­sell­schaft zu sei­nem Nut­zen er­folg­te. Die­ser Zeit­punkt habe mit dem Wech­sel der Ge­winn­ermitt­lungs­art vor der In­sol­ven­zer­öff­nung ge­le­gen. Mit der Fest­stel­lung des Un­ter­schieds­be­tra­ges werde der Wert­zu­wachs do­ku­men­tiert und für die spä­te­re Be­steue­rung quasi „ein­ge­fro­ren“, wäh­rend die Fäl­lig­keit an der Rea­li­sa­ti­ons­hand­lung an­knüp­fe, ver­gleich­bar einer auf­schie­bend be­ding­ten For­de­rung.

Zum Hilfs­an­trag ver­nein­te der BGH die Be­fug­nis des In­sol­venz­ver­wal­ters, den In­nen­aus­gleich zwi­schen den Ge­sell­schaf­tern durch­zu­füh­ren. Haupt­zweck des In­sol­venz­ver­fah­rens sei die Gläu­bi­ger­be­frie­di­gung. Auch wenn der In­sol­venz­ver­wal­ter den Über­schuss an die Ge­sell­schaf­ter aus­zu­keh­ren habe (§ 199 Satz 2 InsO), sei die Ab­wick­lung der Ge­sell­schaft dem Ziel der Gläu­bi­ger­be­frie­di­gung ge­gen­über un­ter­ge­ord­net und trete da­hin­ter zu­rück.

Pra­xis­hin­weis

Der BGH grenzt die Au­ßen­haf­tung eines Kom­man­di­tis­ten al­lein auf Basis des Rechts­ge­dan­kens aus § 160 HGB nach ge­sell­schafts­recht­li­chen Maß­stä­ben ab. Auf die in­sol­venz­recht­li­che Wer­tung der Gläu­bi­ger­for­de­rung als In­sol­venz- oder Mas­se­for­de­rung kommt es nicht an. Somit kön­nen auch Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten der Haf­tung un­ter­lie­gen. Für die Ab­gren­zung ist al­lein die Frage zu be­ant­wor­ten: Würde der Kom­man­di­tist für diese For­de­rung haf­ten, wenn an die Stel­le der In­sol­venz fik­tiv sein Aus­schei­den aus der Ge­sell­schaft ge­dacht würde? § 160 HGB stellt die Vor­aus­set­zung wie auch die Be­schrän­kung der Au­ßen­haf­tung bis zur Höhe Haft­ein­la­ge dar. Vor­aus­set­zung ist, dass die For­de­rung bis zur In­sol­ven­zer­öff­nung be­grün­det, also ihre Rechts­grund­la­ge bis dahin ge­legt wurde, auch wenn die hier­aus re­sul­tie­ren­de Ver­pflich­tung selbst erst nach In­sol­ven­zer­öff­nung ent­steht oder fäl­lig wird. Be­schränkt wird die Au­ßen­haf­tung in­halt­lich auf Alt­ver­bind­lich­kei­ten. Auch wenn der BGH hier­über nicht zu ent­schei­den hatte, dürf­te zudem die Be­schrän­kung der Nach­haf­tungs­frist aus § 160 HGB für die Kom­man­di­tis­ten­haf­tung im In­sol­venz­fall gel­ten. Re­le­vant kann dies bei der Un­ter­neh­mens­fort­füh­rung durch den In­sol­venz­ver­wal­ter sein. Eine wei­te­re Kon­se­quenz be­steht darin, dass die Haf­tung nicht zwin­gend aus­ge­schlos­sen ist, nur weil die vor In­sol­ven­zer­öff­nung be­grün­de­te For­de­rung durch eine Rechts­hand­lung des In­sol­venz­ver­wal­ters (hier: Ver­kauf des Schiffs) ent­steht. Ent­spre­chen­des dürf­te etwa für die Er­fül­lungs­wahl (§ 103 InsO) gel­ten.

Für die Durch­füh­rung des In­nen­aus­gleichs stellt der BGH klar, dass dem In­sol­venz­ver­wal­ter nicht die Li­qui­da­ti­on der Ge­sell­schaft ob­lie­ge. Er ist also nicht be­fugt, die For­de­run­gen zum In­nen­aus­gleich der Ge­sell­schaf­ter ein­zu­zie­hen. Seine Ver­pflich­tung, einen Über­schuss an die Ge­sell­schaf­ter aus­zu­keh­ren, steht au­ßer­halb der Gläu­bi­ger­inter­es­sen, aber wi­der­spricht die­sen eben auch nicht. Alles, was für die Ab­wick­lung der Ge­sell­schaft hier­über hin­aus­geht und den Gläu­bi­ger­inter­es­sen wi­der­spricht, liegt also au­ßer­halb der Be­fug­nis­se des In­sol­venz­ver­wal­ters.

BGH, Ur­teil vom 15.12.2020 - II ZR 108/19 (OLG Hamm), BeckRS 2020, 39108