Das liegt an der „Neugierlücke“, dem curiosity gap, die sich nicht nur Boulevardmedien zunutze machen. Jeder braucht halt Aufmerksamkeit, und die reizarme Überschrift „Tagungsbericht zu § 266a StGB und Beschäftigungsverhältnisse in Anwaltskanzleien“ bekäme deutlich weniger Klicks als „Der freie Mitarbeiter ist tot“, auch wenn es in der Sache um dasselbe ging.
Dabei hat das Thema auch ohne Köder Emotionalisierungspotenzial. Es geht um Anwälte und um deren Unabhängigkeit. Kaum ein core value spielt eine größere Rolle, man muss sich nur an die juchzenden Freudentänze der Anwaltsverbände nach der Entscheidung des EuGH zum Fremdbesitzverbot erinnern. Anwälte üben ihren Beruf eben frei, selbstbestimmt und unreglementiert aus. Bindungen, welche die berufliche Unabhängigkeit gefährden, sind nicht erlaubt. Gewinnbeteiligungen externer Dritter sowieso nicht. Der Inbegriff dieses Anwaltstyps ist der niedergelassene Anwalt.
Nun die Realität. Nach neueren Untersuchungen des Soldan Instituts waren von den Zulassungsjahrgängen 2015 – 2021 im letzten Jahr gerade mal 10 % unternehmerisch tätig, sei es als Gründer oder als Partner einer Sozietät. Keine Zwischenstation, im Gegenteil ist die Neigung zum anwaltlichen Unternehmertum schwach ausgeprägt. Und: Gäbe es nicht die Syndizi, deren Zulassungszahlen seit Jahren zuverlässig steigen, ginge die Zahl der Anwälte Jahr für Jahr zurück.
Der freie, selbstbestimmte und unreglementiert tätige Anwalt arbeitet lieber als Angestellter im sicheren Über- und Unterordnungsverhältnis. Dass er dort Weisungen unterworfen ist, wird damit entschuldigt, dass der anwaltliche Arbeitgeber seinerseits dem Berufsrecht unterworfen sei. Sozusagen an den Arbeitgeber delegierte Unabhängigkeit. § 46 I BRAO verdrängt eben § 43a I BRAO.
Freie Mitarbeiter würden eigentlich besser zum Berufsbild passen. Alles, was bei angestellten Anwälten knirscht, gibt es bei ihnen nicht, zum Beispiel keine Konflikte zwischen Arbeitszeitgesetz und Berufsrecht: angestellte Anwälte werden wie andere Beschäftigte und Arbeiter vor Überstunden und Nachtschichten geschützt. Auch solche, die extrem viel verdienen. Versteht auch nicht jeder. Nun jedoch die dramatische Todesmeldung. Vor zwei Jahren hatte der BGH die freien Mitarbeiter einer Kanzlei zu Scheinselbständigen erklärt. Es war aber in jeder Hinsicht ein Sonderfall: Ein Kanzleiinhaber mit zwölf „freien“ Mitarbeitern, denen vorgegeben war, was sie zu tun und zu lassen hatten, und die regelmäßige Bezüge erhielten. Da war die Entscheidung des BGH schon irgendwie nachvollziehbar. Eigentlich hat sie den freien Mitarbeitet auch nicht getötet, sondern wiederbelebt. Weil sie zeigt, wie man es machen müsste. Hard cases make good law, ausnahmsweise.
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