Teilzeitkrank?

Folgt man der jüngsten Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft, so beliefen sich die Arbeitgeberkosten für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Jahr 2023 auf insgesamt 76,7 Mrd. EUR. Eine beachtliche Summe, die wohl auch in naher Zukunft nicht sinken wird.

10. Feb 2025

Sind deutsche Arbeitnehmer kränker als ihre Kollegen im Ausland? Jedenfalls gilt für sie ein anderes Recht der Lohnfortzahlung. So erhalten Beschäftigte in den Niederlanden bei Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich 104 Wochen lang mindestens 70 % ihres Bruttolohns. Teilweise wird der Betrag arbeits- oder tarifvertraglich zumindest für einen bestimmten Zeitraum auf 100 % aufgestockt. Ein bis zwei Karenztage sind möglich. In Schweden bekommt ein Mitarbeiter nach dem Gesetz über Krankengeld (Lag om sjuklön) – vorbehaltlich einer abweichenden Tarifvertragsregelung – 14 Tage lang 80 % des Bruttolohns. In Belgien sind es 100 %. Angestellte beziehen dort das Geld 30 Tage lang, Arbeiter nur sieben Tage (für die folgenden sieben Tage 60 %), wobei der Zeitraum häufig durch einen Tarifvertrag auf 30 Tage verlängert wird. Die Iren kannten lange keinen gesetzlichen Anspruch auf Entgeltfortzahlung; erst seit 2023 regelt der Sick Leave Act einen Anspruch auf bezahlte Krankheitstage – beginnend mit drei Tagen im Jahr 2023, die bis 2026 sukzessive auf zehn Tage steigen. Gezahlt werden 70 % des Gehalts bis maximal 110 EUR am Tag.

Auch anderswo sind die Variationen vielfältig: In Finnland ist der Anspruch auf Lohnfortzahlung auf zehn Tage begrenzt und gilt in voller Höhe, sofern der Arbeitnehmer zuvor mindestens einen Monat angestellt war. Allerdings sind dort tarif- oder einzelvertragliche Ausnahmeregelungen möglich. Drei Karenztage gibt es in Großbritannien, ehe ein Anspruch auf Krankengeld entsteht. Hier erhalten Beschäftigte maximal 28 Wochen lang gesetzliche Krankengeld-Pauschalbeträge; meist stockt der Arbeitgeber allerdings die Beträge auf bis zu 100 % des Nettoverdienstes auf. In Frankreich erhalten Mitarbeiter in den ersten 30 Tagen 90 % ihres Nettolohns und für weitere 30 Tage zwei Drittel des Bruttolohns. Viele Tarifverträge enthalten Verbesserungen vor allem für Angestellte.

Soll man in Deutschland etwas ändern? In den aktuellen Wahlprogrammen und deren Ankündigung steht hierzu nichts. Beachtung findet aber in der jüngsten Diskussion zumindest der Vorschlag, eine Teilzeitkrankschreibung einzuführen. Auch anderen EU-Ländern ist ein solches Vorgehen nicht fremd – in Schweden etwa können Arbeitnehmer in Prozentsätzen krankgeschrieben werden. Der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt erwägt Ähnliches auch als künftiges Modell für Deutschland. Das klingt plausibel. Denn die harte Grenze zwischen Arbeitsfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit verschwimmt: So könnte man bei Bagatellinfekten eine Teilzeitkrankschreibung für einige Stunden im Homeoffice verschreiben. Prüfet alles und behaltet das Gute! 

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Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M., ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn.