Dass das umfangreiche Gesetzeswerk bald vom Gärtner zum Bock werden würde, war absehbar, denn seine mangelnde Bestimmtheit öffnet endlose Interpretationsspielräume. So verpflichtet Art. 34 I lit. c DSA die Anbieter sehr großer Online-Plattformen zur Ermittlung, Analyse und Bewertung aller „tatsächlichen oder absehbaren nachteiligen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Debatte und auf Wahlprozesse und die öffentliche Sicherheit“. Für die Verpflichtung zur „Risikominderung“ sorgt im Anschluss Art. 35. Was unter einer „nachteiligen“ Auswirkung zu verstehen ist, das liegt im Auge des Betrachters. Damit ist der DSA ein unüberschaubares Risiko für die Plattformbetreiber, die mit Strafgeldern von bis zu einem Sechstel ihres weltweiten Jahresumsatzes bedroht werden.
Den Ausgang des ersten Wahlgangs der rumänischen Präsidentschaftswahl betrachtete die EU-Kommission offenbar als nachteilig: Sie startete ein Verfahren gegen TikTok. Geprüft werden soll, ob die Plattform ausreichend gegen ausländische Akteure vorgeht: „Wann immer wir eine solche Einmischung vermuten, insbesondere bei Wahlen, müssen wir schnell und entschlossen handeln“, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Für den rumänischen Verfassungsgerichtshof bedeutet der Vorgang einen Gesichtsverlust, hatte er doch den ersten Wahlgang bereits am 2.12.2024 für rechtmäßig erklärt, dieses Urteil aber wenige Tage später widerrufen. Es weiß sich dabei im Einklang mit dem DSA, dessen Geeignetheit zur Delegitimierung demokratischer Wahlen sich damit erwiesen hat. Wer mit dem Internet vertraut ist, der weiß: Man findet dort alles. Und auch das Gegenteil davon. Die schiere Menge sich widersprechender Informationen macht es möglich, damit unter Zuhilfenahme des DSA einfach alles zu beweisen, wenn es den eigenen Zwecken dient. So werden wir nie erfahren, ob das Verfahren gegen TikTok auch dann in Gang gekommen wäre, wenn die proeuropäische Kandidatin Elena Lasconi in Führung gelegen hätte.
Das Internet lässt die Welt enger zusammenwachsen. Jede erdenkliche Wahl wird heute auch von Nutzern aus dem Ausland kommentiert. Dies ist einer technischen Entwicklung geschuldet, die sich nicht von kleingeistigen Machtfantasien einhegen lässt. Alle verfügbaren Informationen zu bewerten und eine eigenständige Wahlentscheidung zu treffen, ist das vornehmste Recht eines jeden Wählers. Hierzu bedarf es nicht des DSA, der die nahezu beliebige Annullierung von Wahlen legitimiert. The New Sheriff in Town ist brandgefährlich!
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