Gewonnen hat der Mediziner wohl trotzdem: Mehr als 1.000 Demonstranten einschließlich von Grünen-Abgeordneten begleiteten die Verhandlung: Trillerpfeifen und Plakate. Er werde weiter kämpfen, unterstützt von Lobbygruppen zur Liberalisierung des § 218 StGB. „Kämpfen“ – das klingt mutig, nach selbstlosem, ja heroischem Einsatz. Aber was riskiert er kurz vor der Rente (er ist aktuell 67 Jahre)? Es ist fraglich, ob er die Entscheidung des LAG überhaupt noch im Dienst erleben wird.
Andere Schlagzeile, gleiche Woche: „Ex-Investmentbanker fordert 152 Millionen EUR Schadenersatz“. Im Zusammenhang mit früheren Geschäften eines Frankfurter Dax-Konzerns mit einer italienischen Bank verlangt der Mann rund 152 Mio. EUR „für den durch das Strafverfahren in Italien und die erstinstanzliche Verurteilung erlittenen beruflichen Schaden“, wie im jüngsten Geschäftsbericht der Deutschen Bank zu lesen ist. Intuitiv mag man denken: Wenn soviel eingeklagt ist, dann wird schon was dran sein. Doch nüchtern betrachtet heißt das gar nichts: Zwei Fantastilliarden Schadensersatz – aber die Kosten der Gegenseite müssen nicht erstattet werden, und mit dem eigenen Anwalt rechnet man nach Stunden ab. Die Klage wird auch ohne Vorschuss für die Gerichtsgebühren zugestellt, und solche fallen nicht einmal an, wenn man sie vor Stellung der Anträge zurücknimmt. Das Risiko ist also sehr begrenzt – die Schlagzeile hingegen sicher. Günstiger kommt man nicht in FAZ, Handelsblatt & Co.
Litigation PR und Strategic Litigation sind die modernen Stichworte für solcherlei Vorgehen (hierzu Thüsing/Mantsch/Tanner, JöR 73 (2025) H. /1, 385; Rademacher/Schmitt-Geiger (Hrgb.): Litigation PR: Alles was Recht ist). Beiden Phänomenen ist gemein: Adressat ist die Öffentlichkeit, der aktuelle Sachverhalt ist gar nicht das entscheidende, und oftmals ist es gar nicht maßgeblich, ob man gewinnt oder nicht. Ein Beigeschmack bleibt bei beidem: Strategic litigation zielt zwar auf eine möglichst breitflächige Wirkung, berücksichtigt aber nur die Interessen einzelner Gruppierungen – eine geradezu symptomatische Gegensätzlichkeit. Manche sagen: Ihr fehlt schlicht die demokratische Legitimation. Ein strategisch geführtes Verfahren soll nicht allein der Rechtssicherheit, sondern vielmehr der Erreichung eines bestimmten Ergebnisses dienen. „(…) Hard cases make bad law“ (U.S. Supreme Court, Northern Securities Co. v. United States v. 14.3.1904, 193 U.S. 197, 400). Gesetzgebungsverfahren beanspruchen Zeit und Ressourcen, schaffen aber unzweifelhaft das qualitativ bessere und ausgewogenere Recht.
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