Kolumne

Strategeme
Kolumne

Die uralte Frage, wie sich politische Opponenten elegant aus dem Feld schlagen lassen, beschäftigt die Menschheit schon seit Jahrtausenden. So erschuf der chinesische Philosoph Sunzi bereits im Jahr 500 vor unserer Zeitrechnung eine theoretische Grundlage der Manipulation, die sich im Laufe langer Zeit zu einer geschlossenen Systematik politischer und militärischer Überlistungstechniken weiterentwickelte. Die Rede ist von Tan Daojis zeitlosem „Geheimbuch der Kriegskunst“, besser bekannt als „Die 36 Strategeme“. Viele der darin aufgeführten Techniken lesen sich auch heute erstaunlich vertraut. 

19. Mai 2025

So empfiehlt Strategem Nr. 7, „etwas aus einem Nichts zu erzeugen“. Beispielhaft für diese Vorgehensweise steht die wiederholte Auslösung von Fehlalarmen, um die Aufmerksamkeit des Gegners zu untergraben. Aber auch der Einsatz von Diffamierungen und Trugbildern zählt zu den Werkzeugen dieser Strategie. Wer dächte da nicht sofort an die aktuellen Umtriebe der Politik, deren ebenso demonstrativer wie sinnloser Alarmismus im Kampf gegen mangelnde Willfährigkeit seit Jahren keine Atempause mehr kennt.

Die Kunst der politischen Intrige kommt nie aus der Mode und macht auch vor dem Zugriff auf das Strafgesetzbuch nicht halt: „Im Rahmen der Resilienzstärkung unserer Demokratie regeln wir den Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzungen“, heißt es im neuen Koalitionsvertrag. Und weiter: Um „Terrorismus, Antisemitismus, Hass und Hetze“ noch intensiver zu bekämpfen, sei darüber hinaus eine Verschärfung des Tatbestands der Volksverhetzung geplant. Auffällig ist die Unverfrorenheit, mit der die neue, völlig unbestimmte Allerweltsformel „Hass und Hetze“ genutzt wird, um § 130 StGB nahezu beliebig anwendbar zu machen. Derartigen intellektuellen Unfug in einem Atemzug mit Terrorismus und Antisemitismus ins Feld zu führen, ist purer Missbrauch und überschattet bereits jetzt die neue Regierungskoalition. Wer den Wunsch hegte, eine gesetzliche Grundlage zur Ausschaltung Oppositioneller zu erschaffen, würde genau auf diese Weise vorgehen. Ein paar Verurteilungen wegen Volksverhetzung sollten doch irgendwie konstruierbar sein, das wäre doch gelacht!

Wir sind im Begriff, den demokratischen Grund unter den Füßen zu verlieren. Die neuen Auswüchse aus den längst entsorgt geglaubten Giftschränken der Vergangenheit sind genau das, wovor sie „unsere Demokratie“ zu schützen vorgeben: willkürliche Ausweitung unklarer Straftatbestände. Einschränkung der Redefreiheit. Staatliche Verfolgung oppositioneller Journalisten, einschließlich Durchsuchung der Redaktion. Nichtstaatliche Meldestellen für ebenso legale wie dennoch zensurwürdige Inhalte. Sondergesetzgebung bei sogenannter Politikerbeleidigung: Das beschämende Sündenregister unserer real existierenden Demokratie ist inzwischen ellenlang. Es reicht. Das verantwortungslose Untergraben unseres Strafrechts zugunsten des politischen Tagesgeschäfts muss endlich ein Ende haben!

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Dr. h.c. Gerhard Strate ist Rechtsanwalt in Hamburg und einer der renommierten Strafverteidiger des Landes.