Schon der Achte Familienbericht der Bundesregierung hat vor mehr als zwölf Jahren hierzu Vorschläge gemacht – passiert ist zu wenig; als ehemaliger Vorsitzender der Berichtskommission hoffe ich, das so platt sagen zu dürfen.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben ist von einem nachrangigen Thema zu einem drängenden Desiderat einer menschengerechten Gestaltung der Arbeitswelt geworden. Gegenwärtig treffen Arbeitnehmer und insbesondere Arbeitnehmerinnen dort immer noch auf erhebliche Schwierigkeiten, familiale Sorgepflichten und -wünsche mit erwerbswirtschaftlichen Arbeitspflichten zu vereinbaren. Der Bericht macht zahlreiche Vorschläge, dies zu ändern. Denn bei in Teilzeit erwerbstätigen Frauen liegt der Anteil pflegender oder erziehender Arbeitnehmerinnen bei 50 Prozent, wobei ein nicht unerheblicher Anteil eine gleichzeitige Betreuung der Kinder und Pflege eigener Eltern zu schultern hat. Insbesondere Frauen reduzieren aufgrund von Sorgeverpflichtungen häufig ihre Erwerbstätigkeit. Hier liegt volkswirtschaftliches Potenzial brach – und solches zu größerer Gendergerechtigkeit. Die Vorschläge zielen auf eine bessere Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort – notfalls auch gegen den Willen des Arbeitgebers.
Die Verfasser und Verfasserinnen empfehlen zudem, den normativen Rahmen durch ein spezielles Vereinbarkeits- und Sorgeschutzgesetz zu bestimmen. Die aktuelle Verteilung der einschlägigen Regelungen auf verschiedene Einzelgesetze führt zu einer Komplexität, die es Beschäftigten erheblich erschwert, ihre Vereinbarkeitsprobleme praxistauglich zu lösen. Das Ziel ist ambitioniert: Es geht um nichts weniger als ein „neues Normal“ zum Schutz des Familienlebens von Erwerbspersonen, verankert im Gesetz und konkretisiert durch kollektive Vereinbarungen der Tarif- und Betriebspartner, sowie um familiengerechte Lösungen in der Beschäftigungspolitik der Arbeitsorganisationen. Man wird vielleicht nicht allem zustimmen können – aber alles wird man diskutieren müssen. Immer ist kritisch zu prüfen: Welche Belastung der Wirtschaft wird durch welchen Zugewinn an sozialer Gerechtigkeit und Produktivität der Gesellschaft tatsächlich aufgewogen? Das Gutachten kommt zur rechten Zeit: Eine neue Koalition täte gut daran, die Impulse in einem künftigen Bündnisvertrag zu berücksichtigen. Auch das kann ein Beitrag zur Überwindung der Spaltung unserer Gesellschaft sein. Eine Leseempfehlung also an die Politik für die Familie (der Bericht ist abrufbar auf der Webseite des Ministeriums, https://www.bmfsfj.de).
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