Kolumne

551 Fra­gen
Kolumne
© Nicola Quarz

Im In­ter­re­gnum zwi­schen den Wah­len zum Bun­des­tag und der Bil­dung der neuen Bun­des­re­gie­rung ver­liert die Rol­len­ver­tei­lung zwi­schen Re­gie­rung und Op­po­si­ti­on an Klar­heit, vor allem dann, wenn ein Rol­len­tausch zu er­war­ten ist, bei dem eine Re­gie­rungs­frak­ti­on sich in der Op­po­si­ti­on wie­der­fin­den wird und eine Op­po­si­ti­ons­frak­ti­on in der Rolle des Se­ni­or­part­ners einer Ko­ali­ti­on. Mit ihrer Klei­nen An­fra­ge „Po­li­ti­sche Neu­tra­li­tät staat­lich ge­för­der­ter Or­ga­ni­sa­tio­nen“ (Drs. 20/15035) noch­mals ihre Rolle als kraft­vol­le Op­po­si­ti­on aus­spie­lend, sieht sich die Frak­ti­on der CDU/CSU hef­ti­ger Kri­tik vor allem von­sei­ten künf­ti­ger Op­po­si­ti­ons­frak­tio­nen aus­ge­setzt. 

10. Mrz 2025

Die Rede ist von einer Ein­schüch­te­rung, einer Dro­hung an die de­mo­kra­ti­sche „Zi­vil­ge­sell­schaft“, man will au­to­ri­tä­re Züge einer künf­ti­gen Re­gie­rung er­ken­nen, be­fürch­tet of­fen­bar Ra­che­feld­zü­ge Trump­schen Aus­ma­ßes. Dass von den be­trof­fe­nen Or­ga­ni­sa­tio­nen ein Gro­ß­an­griff auf die eman­zi­pa­to­ri­sche Zi­vil­ge­sell­schaft, was immer man dar­un­ter ver­ste­hen mag, durch die künf­ti­ge Re­gie­rung be­klagt wird, über­rascht nicht – man denkt un­will­kür­lich an das chi­ne­si­sche Sprich­wort von den Frö­schen.

Der Vor­wurf der Ein­schüch­te­rung wiegt schwer. Angst essen – frei nach R. W. Fass­bin­der – Frei­heit auf; dies gilt in be­son­de­rem Maße für die Mei­nungs­frei­heit des Art. 5 GG, wo es jenen „chil­ling ef­fect“ zu ver­mei­den gilt, der von Sank­ti­ons­dro­hun­gen aus­ge­hen kann. Dies gilt auch für das Recht zu de­mons­trie­ren aus Art. 8 GG. Im Ver­lan­gen der Op­po­si­ti­on nach Trans­pa­renz über fi­nan­zi­el­le Zu­wen­dun­gen wird, so steht zu ver­mu­ten, eine Dro­hung der künf­ti­gen Re­gie­rung mit deren mög­li­chen Ent­zug ge­se­hen. Wenn be­reits dies als An­griff auf de­mo­kra­ti­sche Frei­hei­ten ge­wer­tet wird, so of­fen­bart sich hier­in gleich­wohl eine ver­kürz­te Sicht auf die ver­fas­sungs­recht­li­chen Ge­ge­ben­hei­ten. Die de­mo­kra­ti­schen Rech­te der Mei­nungs- und Ver­samm­lungs­frei­heit sind Frei­heits­rech­te im klas­sisch-li­be­ra­len Sinn, sie ver­lei­hen kein Recht auf Leis­tun­gen des Staa­tes, im Ge­gen­teil. Sie ste­hen im Wi­der­spruch zu Art. 5 GG als Ge­währ­leis­tung staats­frei­er Mei­nungs­bil­dung „von unten nach oben“; be­reits der Mög­lich­keit klan­des­ti­ner staat­li­cher Ein­fluss­nah­me über staat­lich ge­för­der­te Or­ga­ni­sa­tio­nen unter Miss­ach­tung des Neu­tra­li­täts­ge­bots gilt es zu be­geg­nen. Vor allem nach den jüngs­ten Mas­sen­kund­ge­bun­gen „gegen rechts“ wur­den Ver­mu­tun­gen in die­ser Rich­tung ge­äu­ßert, ein „deep state“ be­schwo­ren. Hier Trans­pa­renz her­zu­stel­len, ist im In­ter­es­se der Of­fen­heit des de­mo­kra­ti­schen Pro­zes­ses auch ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­ten und le­gi­ti­mes An­lie­gen der Op­po­si­ti­on. Weder ist der Kern­be­reich exe­ku­ti­ver Ei­gen­ver­ant­wor­tung als Schran­ke par­la­men­ta­ri­scher Fra­ge­rech­te be­trof­fen noch spre­chen schutz­wür­di­ge Be­lan­ge der Zu­wen­dungs­emp­fän­ger gegen eine Of­fen­le­gung etwa be­stehen­der Nä­he­be­zie­hun­gen. Ge­wis­se Zwei­fel mögen je­doch er­laubt sein, was die Ernst­haf­tig­keit des Aus­kunfts­be­geh­rens be­trifft, an­ge­sichts des schie­ren Um­fangs der im­mer­hin 551 Ein­zel­fra­gen um­fas­sen­den „Klei­nen An­fra­ge“ und des Zeit­punkts, zu dem sie ge­stellt wurde. •

Die­ser In­halt ist zu­erst in der NJW er­schie­nen. Sie möch­ten die NJW kos­ten­los tes­ten? Jetzt vier Wo­chen gra­tis tes­ten inkl. On­line-Modul NJW­Di­rekt.

Prof. Dr. Christoph Degenhart ist Professor für Staats- und Verfassungsrecht sowie Medienrecht an der Universität Leipzig.