Kolumne

„Solo sí es sí“
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Auf der Erotikskala erreichte er in etwa das Level des sozialistischen Bruderkusses zwischen Erich Honecker und Leonid Breschnew, noch dazu dauerte er kaum eine halbe Sekunde: Der Kuss, den der mittlerweile seines Amtes enthobene Präsident des spanischen Fußballverbands (RFEF) Luis Rubiales Nationalspielerin Jennifer Hermoso im Überschwang der Freude auf die Lippen drückte, spaltet auch eineinhalb Jahre später die spanische Gesellschaft. 

3. Mrz 2025

Nun wurde er vom Nationalen Gerichtshof wegen sexuellen Missbrauchs und Nötigung zu einer Geldstrafe von knapp 11.000 EUR verurteilt. Eine Haftstrafe bleibt ihm damit erspart. Die Zerstörung der Siegesfreude über das am 20.8.​2023 in Australien gewonnene Endspiel der Frauenweltmeisterschaft fußt auf Art. 178 des seit 2022 verschärften Ley Orgánica 10/2022, de 6 de septiembre, de garantía integral de la libertad sexual, landläufig auch als „solo sí es sí“ bezeichnet: nur Ja heißt Ja. Ob Hermoso dem Kuss zugestimmt hätte, wenn Rubiales im allgemeinen Siegestaumel nach Erlaubnis gefragt hätte, werden wir nicht mehr erfahren. Einen Hinweis gibt jedoch ein weiteres im Netz kursierendes Video, aufgezeichnet nach der Siegesfeier im Mannschaftsbus, als die Spielerin in ausgelassener Stimmung ein Foto der Kussszene auf ihrem Smartphone wie eine Trophäe herumzeigt.

Am Folgetag, als es zu hitzigen Diskussionen unter den Feministinnen des Landes kommt, gesteht Rubiales einen Fehler ein: „Es war in einem ergreifenden Moment, ohne jegliche böse Absicht“ und sei „sehr spontan“ gewesen. Hermoso ihrerseits bezeichnete den Kuss als eine „natürliche Geste der Zuneigung und Dankbarkeit“, die man nicht „überbewerten“ dürfe. Was zwischen dieser Erklärung und dem Beginn des Prozesses passiert ist, kann nur vermutet werden. Denn die gerichtlichen Aussagen der Spielerin klingen nun ganz anders: „So etwas kann und darf nicht passieren, weder im sozialen noch im Arbeitsumfeld.“ Sie habe sich nicht respektiert gefühlt, einer ihrer glücklichsten Tage sei dadurch verdorben worden. Hermoso übernimmt damit die Sichtweise der spanischen Gleichstellungsministerin Irene Montero, die den Kuss als „eine Form der sexuellen Gewalt“ bezeichnet hatte. Ist es wirklich ein Zeichen sexueller Befreiung, die Interpretation des eigenen Empfindens dem gesellschaftlichen Erwartungsdruck anzupassen?

Ist es im Sinne einer erfolgreichen Sportlerin, den Moment ihres größten Triumphs nun für immer mit ihrem Opferstatus verknüpft zu wissen? Hat das spanische Strafrecht an diesem Punkt nicht längst die Grenzen dessen überschritten, was Gesetze leisten können und sollen? Auch in Deutschland gibt es ernsthafte Bestrebungen, das Sexualstrafrecht zu einem Nur-Ja-heißt-Ja-Gesetz umzuformen. Es lohnt sich, vorher die spanische Variante zu studieren, deren drakonische Regelungen geeignet sind, jeden unbekümmerten Umgang der Geschlechter miteinander zu unterbinden und nichts als Verlierer zu hinterlassen. 

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Dr. h.c. Gerhard Strate ist Rechtsanwalt in Hamburg und einer der renommierten Strafverteidiger des Landes.