Kolumne
Strafrechtliche Selbstverwirklichung
Kolumne

Die Definition neuer Straftatbestände gehört zur hohen Kunst politischer Selbstverwirklichung. Und so vergeht keine Justizministerkonferenz (JuMiKo), ohne dass der Bundesjustizminister gebeten würde, gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten zu prüfen. Die Beschlüsse sind oft redundante Stilblüten, deren Titel den modrigen Dunst mangelnder Bestimmtheit verströmen. 

18. Nov 2024

So entschied die 95. JuMiKo im Juni 2024, die „Strafbarkeit von öffentlichen Aufrufen zur Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ einführen zu wollen, oder forderte die „Strafbarkeit der Sabotage des demokratischen Willensbildungsprozesses“. Auch die „Demokratiestärkung durch strafrechtlichen Schutz vor Hasskriminalität“ stand auf dem Programm. Dahinter verbirgt sich das gesetzgeberische Bemühen gegen das „Phänomen Hate Speech im Zusammenhang mit sportlichen Wettkämpfen“. Damit die Demokratie auch wirklich umfassend geschützt ist, schlug die JuMiKo zudem vor, „demokratiefeindliche Beweggründe“ im Strafrecht stärker zu gewichten. In dasselbe Horn stößt ein bereits im Gesetzgebungsverfahren befindlicher Entwurf zur „Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie von dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten“ (BT-Drs. 20/12950). Er adressiert nicht nur die strafrechtliche Verfolgung von Angriffen auf Polizisten und Hilfeleistende wie Feuerwehr oder Rettungsdienst, sondern stellt auch Politiker bis zur kommunalen Ebene unter den gesonderten Schutz des Strafrechts. Möglich macht es die sukzessive Ausweitung der §§ 105 und 106 StGB.

Wie dick soll das Strafgesetzbuch noch werden, fragt man sich angesichts mannigfaltig wachsender Sondergesetze. Doch es ist schlimmer: Wir sind Zeitzeugen der gefährlichen Bemühung, gezielt eine Vielzahl unklarer Straftatbestände zu schaffen und so der politischen Justiz den Weg zu bahnen. Der Begriff Rechtsfrieden rückt in weite Ferne, wenn nicht einmal vor Gericht zweifelsfrei geklärt werden kann, ob es sich bei der hitzigen Diskussion über Transfrauen im Frauensport um Hate Speech oder um begründete Kritik handelt. Und kannte man das, was künftig im StGB Sabotage des demokratischen Willensbildungsprozesses genannt werden soll, früher nicht einfach unter der Bezeichnung öffentlich-rechtlicher Rundfunk? Scherz beiseite: Dieser ist von der JuMiKo natürlich nicht gemeint. Vielmehr geht es um die angebliche Einflussnahme ausländischer Autokraten. Die Frage nach der in Art. 5 GG garantierten Freiheit des Einzelnen, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, scheint angesichts übergeordneter Interessen in den Hintergrund zu treten. Auch warum ständig neu verboten wird, was schon längst verboten ist, ficht den saturierten Bürger nicht an. Ist der Angriff auf einen Politiker schlimmer als der auf eine Supermarktkassiererin oder einen ahnungslosen Passanten? Der Gesetzgeber hat beschlossen, genau dies zu unterstellen. Der intellektuelle Abwärtsstrudel des Zeitgeists gibt ihm freie Hand.

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Dr. h.c. Gerhard Strate ist Rechtsanwalt in Hamburg und einer der renommierten Strafverteidiger des Landes.