Kolumne
Nach der Regelaltersgrenze

Die Bundesregierung hat sich am 17.7. eine Wachstumsinitiative beschlossen. Soweit dafür Gesetze erforderlich sind, sollen sie noch dieses Jahr kommen. Das ist wahrlich ambitioniert. Auch das Arbeitsrecht soll seinen Beitrag leisten – ohne ein Aggiornamento (eine Anpassung an heutige Verhältnisse) auch hier wäre ein solches Paket sicherlich unvollständig. Die Vorschläge sind dabei von sehr unterschiedlicher Qualität und Konkretisierung. Wieweit sie Wachstum fördern können, wird sich noch zeigen müssen

12. Aug 2024

Vielleicht am konkretesten ist dabei ein Vorhaben, das bislang gar nicht auf der politischen Agenda stand. Um die Weiterbeschäftigung im Rentenalter zu erleichtern, will die Ampelkoalition ein neues Regime der Altersbeschäftigung schaffen: Um der in vielen Arbeitsverträgen enthaltenen automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze zu begegnen, wird sie für diese Gruppe das sogenannte Vorbeschäftigungsverbot abschaffen. Hierzu soll im SGB VI eine Ausnahme von dieser Regelung aufgenommen werden, wenn der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Altersrente hat und die sachgrundlose Befristung die Gesamtdauer von acht Jahren oder die Anzahl von zwölf Vertragsbefristungen nicht übersteigt. Auch nach den Maßstäben im Fall Mangold ist dies sicherlich europarechtskonform (EuGH NJW 2005, 3695; zu den unionsrechtlichen Grenzen der Gestaltung ausführlich BAG NJW 2019, 1322), und sinnvoll ist das auch.

Das Vorbeschäftigungsverbot ist ohnehin in der – verfassungsrechtlich leider erforderlichen (BVerfG NJW 2018, 2542) – vagen Auslegung durch das BAG sperrig (exemplarisch BAG NZA 2022, 774). Wenn aktuell eine Befristung auf die Regelaltersgrenze zulässig ist, dann muss es auch möglich sein, hiervon für einen befristeten Zeitraum ohne sachlichen Grund abzuweichen, wenn beide Parteien eine Verlängerung wünschen. Ähnliche Initiativen gab es bereits in der Vergangenheit, und die vor zehn Jahren als Kompromiss geschaffene Möglichkeit einer Hinausschiebensvereinbarung nach § 41 S. 3 SGB VI erwies sich in der Praxis als fehleranfällig (Rennpferdt NZA 2021, 1285).

Hoffentlich werden die weitergehenden Ansätze diesmal tatsächlich realisiert. Dies soll verbunden werden mit Anreizen für die Rente: Ab der Regelaltersgrenze soll der Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung gestrichen werden und stattdessen dem Arbeitnehmer zugutekommen. Gleiches soll für den Rentenversicherungsbeitrag gelten, falls der Arbeitnehmer sich gegen freiwillige Beiträge in die Rentenversicherung entscheidet. Man setzt also auf kalkulierbare rechtliche Rahmenbedingungen und auf Anreize, selbige auch tatsächlich umzusetzen. Das ist freiheitsrechtlich sinnvoll, weil es die Wahl lässt, diesen zu folgen – und volkswirtschaftlich sinnvoll, weil vielleicht nicht wenige sich dadurch werden steuern lassen. Solche Gesetzgebung ist klug. Mehr davon.

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Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M., ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn.