Kolumne
Inländerdiskriminierung?
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© Nicola Quarz

Potentaten früherer Jahrhunderte pflegten, wenn sie, um öde Landstriche zu kolonisieren, Siedler ins Land riefen, diese mitunter mit dem Versprechen temporärer Abgabenfreiheit zu ködern. Daran erinnert die dieser Tage geäußerte Absicht der Bundesregierung, wenn nicht mit völliger Abgabenfreiheit, so doch mit erheblichen Steuernachlässen die wider Erwarten bisher noch nicht ins Land geströmten ausländischen Fachkräfte anzulocken.

29. Jul 2024

30 % Steuernachlass im ersten, 20 % im zweiten und 10 % im dritten Jahr sind immerhin 60 % einer Jahreseinkommensteuerschuld. Verfassungsrechtlich ist dieser Vorschlag durchaus zweifelhaft. Derartige Steuervorteile tangieren das verfassungskräftige, im Gleichheitssatz des Art. 3 I GG begründete Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Sie müssen hierin verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Dem Gesetzgeber werden jedoch gerade im Steuerrecht weitreichende Ermessens-, Gestaltungs- und Typisierungsspielräume zugestanden. Besonders weites Ermessen dann, wenn wie hier jedenfalls vordergründig begünstigende Regelungen in Frage stehen. Auch dürfte zur Rechtfertigung darauf verwiesen werden, dass verhaltenslenkende Steuervergünstigungen gerade dem Einkommensteuerrecht nicht fremd sind; auch dürfte erklärend darauf verwiesen werden, dass auch andere Staaten sogenannten erwünschten Ausländern, ob Rentner, Künstler oder Kaiser, mit Steuervorteilen Anreize geben, sich im Land niederzulassen. In jedem Fall würde schließlich ein überragendes öffentliches Interesse an einer Behebung oder zumindest Abmilderung des beklagten Fachkräftemangels zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung geltend gemacht werden. Diese allerdings wiegt schwer. Jeweils die gleiche Einkommensart ist betroffen, unter Gleichheitsgesichtspunkten relevante Anknüpfungspunkte in den Sachverhalten, insbesondere dem im Einkommensteuerrecht maßgeblichen Prinzip der Ausrichtung der Steuerlast nach der finanziellen Leistungsfähigkeit sind nicht erkennbar. Der Gleichheitsverstoß kann also schwerlich verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden, zumal er mit „Fachkräften“ gerade jene Personengruppe betrifft, die eine überproportionale Steuerlast trägt.

Nicht nur wegen ihrer Gleichheitswidrigkeit sind Steuervorteile, wie sie für ausländische Fachkräfte zur Diskussion stehen, verfassungsrechtlich in hohem Maße zweifelhaft. Die Bedenken gehen tiefer. Sie rühren an Grundlagen des Sozialstaats. Der Vorstoß der Bundesregierung trifft auf eine Lage, in der die gesellschaftliche Solidarität, auf die der Sozialstaat aufbaut, überdehnt zu werden droht, so zwischen Leistungserbringern und Leistungsempfängern nicht zuletzt im Fall des „Bürgergelds“. Hier wird der Abstand zwischen Arbeits- und Transfereinkommen als zu gering empfunden, der Anteil an Leistungsempfängern, die nicht zu dieser Solidargemeinschaft beigetragen haben, als zu hoch. Inländergleiche Leistungen für ausländische Nicht-Fachkräfte bei gleichzeitigen Steuervorteilen für ausländische Fachkräfte ist Wasser auf die Mühlen des Populismus.

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Prof. Dr. Christoph Degenhart ist Professor für Staats- und Verfassungsrecht sowie Medienrecht an der Universität Leipzig.