Kolumne
Dulden, ohne zu liquidieren?
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© Markus Hartung / Frank Eidel

„Immer mehr Verbraucher pochen auf ihr Recht – jetzt haben die Gerichte ein Problem“, lautete unlängst eine Schlagzeile bei CHIP, dem nach eigenen Angaben größten Verbraucherportal Deutschlands. Dass der Beitrag gefühlt etwas spät kommt, ist nicht so entscheidend, wir wissen ja, dass es nicht „jetzt“, sondern ein seit Jahren virulentes Thema ist und bisher niemand die silver bullet gefunden hat, um es in den Griff zu bekommen.

5. Apr 2024

Zeit wäre es aber, damit wir mal von den Vorwürfen der Richterbank an Anwaltschaft und Legal-Tech-Unternehmen wegkommen. Sehr vereinfacht gesagt heißt es, dass die Anwälte, die „Klägerindustrie“, schuld seien, die Verbraucher aufstachelten und zu Gericht trieben, mit Schadensersatzansprüchen, denen kein Schaden, und Schmerzensgeldansprüchen, denen keine Schmerzen zugrunde lägen. Diese Behauptungen klingen je nach Kinderstube und Funktion unterschiedlich: Nötig sei „die Korrektur eines Marktes, der mit Behinderung der Justiz Kapital schöpft“, hieß es mal. Das ging in Richtung Klägeranwälte, aber der Sache nach sind wohl eher die Beklagtenanwälte gemeint; denn angesichts der Erfolgsquoten der durch Legal Tech geltend gemachten Ansprüche ginge es schneller, wenn die verklagten Unternehmen die Sache nicht ewig blockieren würden, bevor sie sich ins statistisch längst prognostizierbare Unabänderliche fügen. In anderen Fällen, wenn es um sogenanntes Datenscraping geht, also den massenhaften Diebstahl personenbezogener Daten durch Hacker, der durch Unachtsamkeit eines Unternehmens begünstigt wurde, wird Klägern attestiert, es sei ihnen „nicht gelungen, einen konkreten immateriellen Schaden darzulegen“, es seien nicht ausreichend „persönliche bzw. psychologische Beeinträchtigungen“ dargelegt worden. Die Anwälte der Kläger müssen sich dann wenig freundliche Bemerkungen der Richter darüber anhören, dass sie doch die Kläger zu Gericht getrieben hätten, obwohl denen außer der Datenhoheit doch nichts fehle, reine Lappalien also. In Abwandelung des bekannten Baustellenwarnschildes läuft das auf „Kläger haften für ihre Anwälte“ hinaus. Nun, il y a des juges à Luxembourg, der EuGH korrigiert solche Fragen (wenn man die Puste hat, so etwas durch die Instanzen zu treiben).

Das ist alles misslich. Grundsätzlich gilt: Wenn Verbraucher Schadensersatzansprüche haben, dann handelt es sich naturgemäß um massenhaft auftretende Streu- und Bagatellschäden, so ist es eben in der Industrialisierung, und wenn die, pardon, „Schädigerindustrie“ sich weigert, das vernünftig zu regulieren, Verfahren nach der ZPO dazu nicht passen und dadurch Gerichte sauer gefahren werden – und das werden sie –, dann ist es nicht fair, für diese Versäumnisse Verbraucher und ihre Anwälte zu verhaften. Sollen Verbraucher dulden, ohne zu liquidieren? Aber es bewegt sich was: Im April treffen sich Anwalt-, Richter- und Wissenschaft an der Bucerius Law School, um das alles mal zu beleuchten

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Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Mediator in Berlin, Senior Fellow des Bucerius Center on the Legal Profession und Mitglied des Berufsrechtsausschusses des DAV.