Ob es stimmt? Die Untersuchung zeigt gewisse statistische Effekte, aber die in Bezug genommene Erhebung deutet nur vorsichtig auf gewisse Indizien – ein Allheilmittel ist dies sicherlich nicht; keine Demokratieimpfung, die gegen den gesellschaftlichen Zeitgeist immun macht. Aber die Demokratisierung der Arbeitswelt ist der Gedanke, aus dem die betriebliche Mitbestimmung heraus geboren wurde. Über 100 Jahre ist es nun her, dass das Betriebsrätegesetz in Kraft trat. Der Gesetzgeber erfüllte damit das Versprechen des Art. 165 Weimarer Reichsverfassung: "Die Arbeiter und Angestellten erhalten zur Wahrnehmung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessen gesetzliche Vertretungen in Betriebsarbeiterräten." Das neue Recht kam nicht ohne Vorbereitung, gab es doch vereinzelt schon Arbeitnehmervertretungen aufgrund von Vereinbarungen mit einzelnen Unternehmen und ihren Verbänden.
Doch trotz dieser Vorläufer war das neue Gesetz eine zuweilen heftig kritisierte, zuweilen begeistert begrüßte Neuerung: Die Demokratisierung des Arbeitsplatzes, eine institutionell verankerte Mitbestimmung durch die Belegschaft, wurde hier erstmals durch den Gesetzgeber anerkannt. Das waren Forderungen, die nicht nur von Sozialdemokratie und Sozialisten erhoben wurden, sondern auch wirkungsmächtige Fürsprecher im Bereich der katholischen Soziallehre hatten. Freilich gab es nicht weniger Gegner. Die Parlamentsdebatte war begleitet von blutigen Auseinandersetzungen; Reichspräsident Ebert musste den Ausnahmezustand verhängen. Die gesellschaftlichen und ideologischen Spannungen der noch jungen Republik traten offen zu Tage. "Voraussetzung für die Gemeinschaftsarbeit ist die volle Gleichberechtigung der Arbeitnehmer auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet", stellte Reichsarbeitsminister Schlicke im Reichstag fest. Der Abgeordnete Schneider ergänzte für die Deutschen Demokraten (DDP), das neue Arbeitsrecht mache aus dem Machtverhältnis ein Rechtsverhältnis. Hehre Worte, doch trafen sie damals die Meinung von vielen – auch heute noch.
Im internationalen Vergleich bleibt dies bis heute eine deutsche Besonderheit. Vergleichbare Strukturen neben der Vertretung durch Gewerkschaften kennen allein Österreich, Luxemburg und die Niederlande. Die betriebliche Mitbestimmung ist dennoch fest verankert in der Wirklichkeit und der sie konstituierenden Gesetzgebung – und das ist gut so, und dabei sollte es bleiben. Kirchen, Parteien, Gewerkschaften – sie alle verlieren an Mitgliedern. Die mediatisierenden Instanzen gehen einer Gesellschaft verloren, die so dringend nach Zusammenhalt sucht. Mitbestimmung kann dazu beitragen.
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