Kolumne
Dichterjuristen
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Vor 42 Jahren erschien erstmals ein Schwerpunktheft dieser Zeitschrift zum Thema "Literatur & Recht". Die außergewöhnlich positive Resonanz (die Süddeutsche Zeitung widmete der NJW damals sogar eins ihrer berühmten "Streiflichter") führte zu einer Tradition, die bis heute jährlich fortgesetzt wird (inzwischen erweitert um den Themenbereich Kunst).

11. Mrz 2024

Anlass für die erste Ausgabe dieser Reihe war der 150. Todestag Goethes am 22.3.​1982. Der deutsche Dichterjurist schlechthin wurde in der Folge Gegenstand zahlreicher Abhandlungen in den Schwerpunktheften. Ihm in dieser Hinsicht beinahe ebenbürtig ist ein anderer Dichterjurist, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährt: Franz Kafka. Der deutsche Dichterjurist der Gegenwart, Bernhard Schlink, hat kürzlich in der SZ über "das berühmteste Doppelleben" als Schriftsteller und Jurist geschrieben und dazu wieder "Der Prozess" gelesen: "Ein Vergnügen war’s, und eine Begegnung damit, wie das äußere Recht und seine Prozesse erfahren werden können, wie auf sie reagiert und nicht reagiert werden kann und welchen Preis das hat."

Genau dies ist auch Thema des jüngsten Werks eines weiteren Dichterjuristen der Gegenwart mit Bestseller-Garantie: Ferdinand von Schirach. Der "Monopolist szenischer Vergegenwärtigung juristischer Praxis" (FAZ) macht Kriminalfälle nicht mehr nur zu Literatur, sondern auch zu Theaterstücken, Performances und – wie jetzt mit "Sie sagt. Er sagt." – zu Filmen. Das Feuilleton, sonst eher kritisch gegenüber dem Autor, ist ganz angetan von dem Werk über einen MeToo-Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht. Wobei manches Lob auch etwas vergiftet war, etwa das der SZ, das Werk sei eine "Sensation im Schirach-Kosmos".

Der Film besticht vor allem durch große Schauspielkunst und die Regie Matti Geschonnecks. Ich muss aber zugeben, dass ich nicht aus meiner juristischen Haut konnte und mich einige wirklichkeitsfremde Prozesssituationen sehr getriggert haben, auch wenn sie dramaturgisch durchaus schlüssig sind. Beim Tatort oder anderen Krimis ist mir das egal, weil es nicht so sehr darauf ankommt. Aber dieser Film ist inszeniert wie eine Prozessdokumentation und von Schirach hält zu Beginn aus dem Off einen Vortrag zum Strafrecht. Wenn eine Gerichtsverhandlung auf diese Weise simuliert wird, sollte die Dichtung doch etwas näher an der Wahrheit sein.

Der Autor tourt derzeit auch mit seinem Ein-Mann-Bühnenstück "Regen" durchs Land. Ferdinand von Schirach spielt in einem Werk von Ferdinand von Schirach Ferdinand von Schirach, was den Spiegel in der Ausgabe vergangener Woche fragen lässt: "Ist Ferdinand von Schirach auf dem Weg, zur Parodie seiner selbst zu werden?" Ein Satz aus dieser Rezension, nämlich dass von Schirach einst vom Strafverteidiger zum Schriftsteller umgeschult habe, zeigt die Skepsis, mit der die Literaturkritik von Schirach noch immer begegnet. Seinem Erfolg schadet das nicht. Er ist, wie sein amerikanischer Kollege John Grisham, ein absoluter Rainmaker unter den Dichterjuristen.

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Tobias Freudenberg ist Rechtsanwalt und Schriftleiter der NJW, Frankfurt a.M.