Kolumne
Meinungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze
Kolumne
Foto_Gerhard_Strate_WEB
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"Viele Feinde der Demokratie wissen ganz genau, was auf den Social-Media-Plattformen gerade noch so unter Meinungsfreiheit fällt", verkündete Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) auf ihrer Pressekonferenz am 13.2. zum Thema "Hass im Netz". Diesem Umstand wolle man Rechnung tragen. In dasselbe Horn stieß Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang am selben Tag auf einer Pressekonferenz mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zum Thema "Aktuelle Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus": Auch wenn etwas keine strafrechtliche Relevanz habe, könne es trotzdem "staatswohlgefährdend" sein. – Solche parallelen – auch noch zeitgleich begangenen – Tabubrüche zweier Amtsträger, deren Position ein besonderes Verantwortungsbewusstsein erfordert, treiben jedem Anhänger des Rechtsstaats die Schweißperlen auf die Stirn.

4. Mrz 2024

Dass sich die Strafbarkeitsgrenze für Meinungsäußerungen nicht willkürlich verschieben lässt, dafür hat vor wenigen Jahren noch ein Beschluss des BVerfG gesorgt (NJW 2016, 2870): Nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen seien geschützt, sondern auch pointierte oder polemische Zuspitzungen. Damit trägt das BVerfG seiner eigenen großen Tradition Rechnung: Schon das Lüth-Urteil von 1958 erkannte die freie Meinungsäußerung als den "unmittelbarsten Ausdruck" der menschlichen Persönlichkeit, "schlechthin konstituierend" für die ständige geistige Auseinandersetzung; der Kampf der Meinungen sei das Lebenselement der Demokratie, "die Grundlage jeder Freiheit überhaupt" (BVerfGE 7, 198 (208) = GRUR 1958, 254).

Zur staatlichen Bekämpfung völlig legaler Äußerungen setzen Paus, Faeser und Haldenwang auf ein umfangreiches Aktionspaket. Hierzu zählen die vom Bundesfamilienministerium errichteten "Kompetenznetzwerke zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung und Extremismusprävention". Gemeint ist damit die steuerfinanzierte Vernetzung verschiedenster Akteure der sogenannten Zivilgesellschaft im Rahmen eines Bundesprogramms mit dem hochtrabenden Titel: "Demokratie leben!" Allein im vergangenen Jahr wurde das Programm mit 182 Mio. Euro staatlich gefördert. Dass in den letzten Wochen Hunderttausende in Demonstrationen "gegen Rechts" ihre Sorge um die Entwicklung unserer Gesellschaft zum Ausdruck brachten, darf den kritischen Blick auf die aktuellen Gesetzgebungsinitiativen nicht verstellen. Das Konzept des noch nicht verabschiedeten Demokratiefördergesetzes, nämlich einer Zivilgesellschaft, die sich durch den Staat fördern lässt, ist grotesk. Noch grotesker ist es, dass die Alimentierung auf Richtlinien der obersten Bundesbehörden beruhen soll, die keinen Rechtsanspruch auf Förderung begründen (§ 4 Demokratiefördergesetz-E). Dem willkürlichen Belieben einer der jeweiligen Bundesregierung genehmen Administration öffnet dies Tür und Tor. Der so erzeugte Konformitätsdruck wird die Entwicklung unserer Demokratie nicht beleben, sondern eher zum Ersterben bringen.

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Dr. h.c. Gerhard Strate ist Rechtsanwalt in Hamburg und einer der renommierten Strafverteidiger des Landes.