NJW-Editorial
„Klarstellung“ im KapMuG

Das Kapitalanleger-Musterver­fahrensgesetz (KapMuG) wird neu gefasst und entfristet. Die Reform bringt zahlreiche und grundlegende Änderungen im Verfahren. Bei der Ausweitung des Anwendungsbereichs bleibt das Gesetz aber vage. Der Gesetzgeber spricht hier von einer „Klarstellung“ – dies wirft allerdings mehr Fragen auf als es beantwortet.

11. Jul 2024

Am 13.6.​2024 hat der Bundestag die Neufassung des Kapitalanleger-Musterver­fahrensgesetzes (KapMuG) (BT-Drs. 20/11787) beschlossen. Der Bundesrat hat am 5.7.​2024 im zweiten Durchgang zugestimmt. Einem rechtzeitigen Inkrafttreten des ­Ge­setzes, das ansonsten zum 31.8.​2024 ausgelaufen wäre, steht damit nichts mehr im Weg.

Die Reform bringt zahlreiche und grundlegende Änderungen im Verfahren. Künftig formuliert das Oberlandesgericht die Feststellungsziele, die zwingende Aussetzung aller vom Musterverfahren betroffener Prozesse entfällt. Innovativ ist die auf den Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses rückwirkende Verjährungshemmung der Anspruchsanmeldung im Musterverfahren (§ 13 KapMuG 2024 iVm § 204 I Nr. 6a BGB nF). Rechts­politisch am bedeutsamsten dürfte aber eine Änderung in seinem Anwendungsbereich sein, die erst der Rechtsausschuss des Bundestags vorgenommen hat: Die vom KapMuG erfassten öffentlichen Kapitalmarktinformationen (§ 1 I Nr. 1 KapMuG) sind jetzt nach § 1 II Nr. 9 KapMuG 2024 insbesondere An­gaben „in Bestätigungs­vermerken von Abschlussprüfern zu offenzulegenden Jahres­abschlüssen und Konzernabschlüssen des Emittenten“.

Dies war bislang umstritten. Die Geltung des KapMuG 2012 für Schadensersatzan­sprüche gegen Wirtschaftsprüfer ist eine zentrale Frage des Wirecard-Verfahrens vor dem BayObLG (Az.: 101 Kap 1/22; erster Termin wurde auf den 22.11.​2024 bestimmt). Das neue Recht gilt aber nicht rückwirkend, und Musterverfahren, die aus einem vor dem Inkrafttreten gestellten Musterverfahrensantrag herrühren, werden weiter nach dem KapMuG 2012 geführt (§ 30 II KapMuG 2024).

Der Bundestag sieht aber, unter Hinweis auf die Stellungnahme des Bundesrats, in der genannten Änderung nur eine „Klarstellung“ (BT-Drs 20/11787, 45). Der Bundesrat hatte noch ausgeführt, dass „die Praxis gezeigt [hat], dass (…) insbesondere auch Ratings oder Bestätigungsvermerken von Wirtschaftsprüfern erhebliche Be­deutung bei Anlageentscheidungen zukommt. Die gerichtliche Praxis hat solche Er­klärungen von Wirtschaftsprüfern oder Ratinggesellschaften in der Vergangenheit ­uneinheitlich beurteilt, weshalb eine Klärung [Hervorhebung nur hier] aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Stärkung des Anlegerschutzes geboten erscheint“ (BT-Drs. 20/11307, 2).

Aus einer erwünschten „Klärung“ wurde eine „Klarstellung“. Was bedeutet das für den Rechtsanwender? Legt der Bundestag das geltende Recht hier authentisch aus? Rechtfertigt die Klarstellung methodisch eine Vorwirkung neuen Rechts bei der Auslegung des (fort-)geltenden alten Rechts? Man darf gespannt sein, wie das BayObLG sich dazu äußern wird.

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Prof. Dr. Gregor Vollkommer ist Vorsitzender Richter am OLG München.