NJW-Editorial
KI plus juristische Kernkompetenz
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ChatGPT, ein von jedermann nutzbarer Chatbot basierend auf Künstlicher Intelligenz, elektrisiert auch die Juristenwelt. Obwohl die KI nicht besonders mit juristischen Texten trainiert worden ist, lassen sich die Ergebnisse rechtlicher Abfragen durchaus sehen. Man ahnt, was passiert, wenn die Rezeptur verfeinert wird, die Rohdaten aus Fachliteratur bestehen und die KI damit trainiert wird. Dieses Szenario muss auch die Regulierung im Blick haben.

13. Jan 2023

Gedichte, Schulreferate, Lebensweisheiten, Witze, gleich ob auf Deutsch, Englisch oder Latein – ChatGPT, ein von jedermann nutzbarer Chatbot basierend auf Künstlicher Intelligenz, beeindruckt und lässt den Nutzer baff zurück. Seine Antworten sind nicht nur brillant formuliert, sie sind häufig auch richtig, und selbst wenn sie völlig daneben ­liegen, kommen sie doch so überzeugend daher, dass man ChatGPT alles glauben möchte.

Die Software hat viele Texte gelesen, viel Rechenleistung investiert und noch mehr Zusammenhänge erkannt, die es ihr ermöglichen, Informationen abzuleiten und menschen­verständlich darzustellen. Dabei hängt die „Intelligenz“ freilich von der Datenlage der Rohdaten ab. Obwohl ChatGPT nicht besonders mit juristischen Texten trainiert worden ist, lassen sich die Ergebnisse rechtlicher Abfragen durchaus sehen. Man ahnt, was passiert, wenn die Rezeptur verfeinert wird, die Rohdaten aus Fachliteratur bestehen und die KI damit trainiert wird: Während sich die hiesige Anwaltschaft noch mit dem digitalen Versand von Schriftsätzen plagt und manches Gericht angesichts von analog geführten Massenverfahren nicht mehr arbeitsfähig ist, wird sich still und leise eine Entwicklung wiederholen: So, wie man den Reizen erlag, Bücher, Pizza, Konsumgüter, Filme und Taxis nur noch bei Tech-Unternehmen zu bestellen, so mag man sich fragen, ob man künftig Rechtsrat nicht bei einem smarten, jederzeit erreichbaren und nicht nach dem Streitwert abrechnenden Rechtschatbot sucht.

Es ist ein Wettstreit im Gange um die Frage, wer eine Rechtsfrage besser beantworten kann: Der Anwalt, der auf beck-online recherchiert, oder die KI, die beck-online vollständig gelesen und verstanden hat? Selbst im sehr unwahrscheinlichen Fall, dass die KI nicht (auch) bei mehr und mehr juristischen Fragestellungen die Nase vorne haben wird, darf man sich doch fragen, ob sie nicht zumindest in der zweiten Reihe disruptiv wirkt, ob also die Anwältin den Vertragstext nur noch vollenden statt entwerfen muss. Das ist aber keinesfalls schlecht, die Digitalisierung führt nun mal zu sich ständig ändernden Job-Beschreibungen und gibt Juristinnen und Juristen auch die Gelegenheit, die Frage nach ihren eigentlichen Kernkompetenzen zu stellen.

All dies wird natürlich nur in einem regulierten Rahmen geschehen können, konkret dem künftigen AI Act, den der Rat der EU gerade kommentiert hat: Dass KI sicher sein und nur transparent sowie rechtskonform und risikobasiert eingesetzt werden darf, wird dazu führen, dass Innovationsfreudigkeit und Grundrechtewahrung in jedem einzelnen Anwendungsbereich von KI in einen vernünftigen Ausgleich gebracht werden müssen. Wie dies funktionieren soll, bleibt wegen der stets komplexer werdenden KI-Modelle zwar spannend. Für die Rechtsberatung und Rechtsanwendung werden die nächsten Jahre aber in jedem Falle zu fundamentalen Umbrüchen führen

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Rechtsanwalt Dr. Markus Kaulartz ist Partner von CMS Hasche Sigle, München.