NJW-Editorial
KI im globalen Kräftemessen
NJW-Editorial

Bevor die KI-Verordnung demnächst im Amtsblatt der EU verkündet wird, tobte ein Sturm der Kritik. Die Sturmböen versuchten überall zu verfangen: Getrieben durch Angst. Ein Musterbeispiel für schlechte Rechtsetzung. Ein innovationsfeindliches Verbotsgesetz. Im Auge des Sturms wurde schon das Ende der KI in Europa postuliert. In das nachlassende Sturmrauschen mischen sich Wolkenlücken, die andere Perspektiven eröffnen. Die Einflüsse von Regulierung auf Innovationen sind ins Verhältnis zur Gewährleistung einer verantwortungsvollen Nutzung von KI zu setzen.

17. Mai 2024

Im Wettlauf um die Vorherrschaft in der KI-Entwicklung setzt die EU auf weitreichende Regulierung. So müssen Entwickler und Verwender von KI unionsweit nur ein ­Regelwerk beachten, das einen verbindlichen Rahmen für Innovationen im Binnenmarkt schafft. Dagegen konzentrieren sich die USA darauf, mittels Soft Law und punktueller Regu­lierung den Unternehmen genügend Freiraum für Innovationen zu erhalten. Ziel ist es, Chinas Aufstiegsambitionen bei der wirtschaftlichen und militärischen Entwicklung und Nutzung von KI sowie der technischen Standardsetzung in Schach zu halten.

Trotz der unterschiedlichen Ausgestaltung der Regulierung verfolgen die Regierungen auf beiden Seiten des Atlantiks ähnliche Ziele. Die EU konzentriert sich auf eine übergreifende Regulierung von Entwicklern und Verwendern von KI-Modellen und KI-Systemen, die je nach Risiko, Sektor und Anwendungsfall gestufte Regeln setzt. Durch ein Common Rule Book und nicht durch die Schaffung von regulatorischen Freiräumen soll der Binnenmarkt gefördert werden. Die Prinzipien, die der EU-Regulierung zugrunde liegen, namentlich der Schutz der Grundrechte sowie Sicherheit und Zuverlässigkeit bei der Nutzung von KI, spielen auch in den USA eine wichtige Rolle. Dabei setzen diese vorwiegend auf unverbindliche Leitlinien. Soft Law kann unter Beteiligung der Wirtschaft flexibel weiterentwickelt werden und den Unternehmen Anreize zur Umsetzung geben. Ausgehend von der White House Executive Order vom 30.10.​2023 werden sektorspezifische Regulierungsbehörden ermächtigt, verbindliche Standards zu setzen und Einzelfallregelungen zu treffen.

Diese Herangehensweise unterscheidet sich diametral von derjenigen in der EU. Durch eine legislativ angeregte und administrativ ausdefinierte Regulierung zur Selbstregu­lierung müssen weniger Interessen untereinander ausgeglichen werden. Dagegen erscheint die EU-Regulierung, in der viele Aspekte in einer komplizierten und langwie­rigen Rechtsetzung „unter einen Hut gebracht“ werden sollten, prima facie unflexibler. Doch der Eindruck täuscht. Perspektivisch können sich die beiden Regulierungsmodelle gegenseitig befruchten. So entstehen in den USA mehrere überparteiliche und behördliche Gesetzesinitiativen, während sich in der EU viele technische Inhalte der KI-VO erst durch Industriestandards ergeben werden, die gemeinsam mit dem Regulierer entwickelt werden sollen.

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Dr. Alexander Wellerdt, LL.M., ist Rechtsanwalt in Frankfurt a.M..