Urteilsanalyse
Kennzeichenmissbrauch durch Abstellen eines Anhängers am Straßenrand
Urteilsanalyse
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Ein Gebrauchmachen i.S.d. § 22 Abs. 2 StVG kann - so das BayObLG - auch vorliegen, wenn ein Anhänger lediglich im öffentlichen Verkehrsraum am Straßenrand abgestellt wird.

20. Dez 2021

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Böhm, Ignor & Partner GbR, Berlin  

Aus beck-fachdienst Strafrecht 25/2021 vom 16.12.2021

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Sachverhalt

Mit der Revision wehrt sich A gegen ein Urteil des LG, wonach er im öffentlichen Verkehrsraum am Straßenrand einen Anhänger abstellte, an dessen Heckseite ein nicht für dieses Fahrzeug zugeteiltes Kennzeichen angebracht war.

Entscheidung

Das BayObLG sah ein Gebrauchmachen i.S.d. § 22 Abs. 2 StVG als gegeben an und verwarf die Revision als unbegründet. Sinn und Zweck des § 22 StVG sei die Sicherstellung der zuverlässigen Halter- und Fahrerfeststellung. Im öffentlichen Interesse und im Interesse möglicher Unfallgeschädigter soll mithilfe des Kennzeichens der Fahrzeughalter jederzeit ohne Schwierigkeiten ermittelt werden können. Dieser Zweck erfordere eine weite Auslegung des Begriffs des Gebrauchmachens i.S.v. § 22 Abs. 2 StVG, der über das Führen oder Schieben des Kraftfahrzeugs hinausgehe. Ebenso wäre das Abstellen eines Anhängers am Straßenrand erfasst, weil von diesem eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ausgehen und das Abstellen den Tatbestand einer Verkehrsordnungswidrigkeit begründen könne. Der Begriff des „Gebrauchmachens“ sei daher so auszulegen, wie der Begriff „Gebrauch“ in § 10 Abs. 1 AKB, § 2 Abs. 1 KfzPflVV; für diese Vorschriften sei anerkannt, dass der Begriff des Gebrauchs noch über denjenigen des „Betriebs“ des Fahrzeugs i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG hinausgehe. Auch näher bezeichnete andere Entscheidungen stünden dieser Auslegung nicht entgegen.

Praxishinweis

Mit Blick auf den Sinn und Zweck der Norm hat das BayObLG vorliegend ein weites Verständnis des Begriffs des Gebrauchmachens an den Tag gelegt und damit für die Praxis eine nicht unwichtige Entscheidung getroffen. Denn einer der häufigsten Anwendungsfälle von § 22 Abs. 2 StVG dürfte gerade vorübergehend stillgelegte Fahrzeuge oder Anhänger betreffen, die auf öffentlichem Verkehrsgrund abgestellt werden und, um vor Abschleppen gesichert zu werden, mit entstempelten Kennzeichen versehen werden (so auch MAH-Strafverteidigung/Kuhn, § 47 Rn. 202).

Gleichwohl ist die Verteidigung in derartigen Fallkonstellationen nicht per se auf verlorenen Posten:

Zum einen dürfte eine Strafbarkeit gem. § 22 StVG nur dann in Betracht kommen, wenn es sich bei dem entstempelten Kennzeichen um ein fremdes, und nicht um ein Kennzeichen handelt, das ursprünglich für dieses Fahrzeug respektive diesen Anhänger ausgegeben war. Den Tatbestand des Kennzeichenmissbrauchs verwirklicht somit nicht, wer die entstempelten amtlichen Kennzeichen an dem nur vorübergehend stillgelegten Kraftfahrzeug, für das sie ausgegeben sind, an diesem belässt bzw. wieder anbringt (BayObLGSt 1980, 5; aA aber OLG Koblenz BeckRS 2016, 15816).

Zum anderen verlangt § 22 Abs. 2 StVG ausdrücklich, dass der Täter weiß (dolus directus 2. Grades), dass das Kennzeichen manipuliert wurde. Angesichts dessen dürfen sich die Gerichte in subjektiver Hinsicht nicht mit einem bedingten Vorsatz begnügen. Zudem sei auf Rechtsfolgenebene darauf hingewiesen, dass bei Erfüllung des Tatbestands zwar ein Fahrverbot gem. § 44 StGB in Betracht kommt, aber nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis auf Grundlage der Generalklausel des § 69 Abs. 1 StGB, weil die Tat nach § 22 StVG im Regelfall keine tragfähigen Rückschlüsse darauf zulässt, dass der Täter bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unterzuordnen (BGH, GSSt 2/04, NJW 2005, 1957; Niehaus, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 22 StVG Rn. 33).

BayObLG, Beschluss vom 03.11.2021 - 203 StRR 504/21 (LG Nürnberg-Fürth), BeckRS 2021, 37326