Urteilsanalyse
Keine Wiedereinsetzung in vorigen Stand bei anwaltlichem Augenblicksversagen nach Zulassungswiderruf
Urteilsanalyse
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In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist als Fallgruppe der unverschuldeten Fristversäumnis die Überlastung einer unerfahrenen Person, der "die Dinge über den Kopf gewachsen sind", anerkannt. Bei einem langjährig als Rechtsanwalt tätigen Kläger kann eine solche exkulpierende Belastungssituation (hier: nach Zustellung klageabweisenden Urteils des Anwaltsgerichtshofs in Zulassungswiderrufsverfahren) laut BGH aber nicht angenommen werden.

7. Sep 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 17/2021 vom 02.09.2021

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Sachverhalt

Die beklagte Rechtsanwaltskammer widerrief wegen Vermögensverfalls die Zulassung des seit 1987 als Rechtsanwalt zugelassenen Klägers. Nach erfolgloser Klage vor dem Anwaltsgerichtshof beantragte er die Zulassung der Berufung. Die Frist zur Begründung des Zulassungsantrags versäumte er und begehrte daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er berief sich auf ein Augenblicksversagen, das aus einer psychischen Ausnahmesituation nach dem klageabweisenden Urteil resultiert sei und zu dazu geführt habe, dass er die Begründungsfrist falsch notiert habe.

Entscheidung: Keine unverschuldete Fristversäumnis, Rechtsanwalt muss bei psychischer Ausnahmesituation für Vertreter sorgen

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.

Der Kläger habe die zweimonatige Frist zur Begründung der Berufung versäumt. Ihm sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 112e Satz 2 BRAO, §§ 124a Abs. 4 Satz 4, 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren. Denn er habe die Fristversäumung verschuldet. Das vom Kläger geltend gemachte Augenblicksversagen befreie ihn nicht vom Vorwurf der Fahrlässigkeit. Zwar sei in der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung als Fallgruppe der unverschuldeten Fristversäumnis die Überlastung einer unerfahrenen Person, der «die Dinge über den Kopf gewachsen sind», anerkannt. Beim langjährig als Rechtsanwalt tätigen Kläger könne eine solche exkulpierende Überlastungssituation aber nicht angenommen werden.

Auch bei Rechtsanwälten sei eine an sich das Verschulden ausschließende Belastungssituation mit psychischen Ausfallerscheinungen nicht von vornherein ausgeschlossen. Es könne von diesen Personen aber erwartet werden, dass sie in Angelegenheiten ihrer Mandanten für die Bestellung eines Vertreters sorgen (§ 53 BRAO) und in eigenen Angelegenheiten einen Kollegen mit der Wahrnehmung ihrer Rechtssachen beauftragen. Dass dem Kläger dies nicht möglich gewesen sei, sei nicht dargelegt. Für eine das Verschulden ausschließende Prozessunfähigkeit, die die Zeitspanne von der Zustellung des Urteils bis zum Ende der Begründungsfrist hätte abdecken müssen, habe der Kläger keine hinreichenden Anhaltspunkte dargetan, die auch im Übrigen nicht ersichtlich seien.

Praxishinweis

Bei der Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO gilt ein (gemäßigt) subjektiver Fahrlässigkeitsmaßstab, wonach eine unverschuldete Fristversäumnis vorliegt, wenn dem jeweiligen Betroffenen nach den Umständen des Einzelfalls kein Vorwurf bezüglich der Säumnis trifft (siehe hierzu näher Peters in BeckOK, VwGO, § 60 VwGO (Wiedereinsetzung) Rn. 8 m.w.N.). Auch wenn ein Anwalt durch ein Urteil des AGH, mit dem seine Klage gegen einen seine Anwaltszulassung widerrufenden Bescheid wegen Vermögensverfalls abgewiesen wird, existenziell betroffen ist, genügt dies dem BGH noch nicht, eine solche Ausnahmesituation anzunehmen, die bei Anwendung des gemäßigt subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs eine unverschuldete Fristversäumnis begründen könnte.

BGH, Beschluss vom 05.07.2021 - AnwZ (Brfg) 15/21, rechtskräftig (AGH Rheinland-Pfalz), BeckRS 2021, 21798