Urteilsanalyse
Keine Wiederauflebensklausel bei Entbindung des Pflichtverteidigers für Fall der Niederlegung des Wahlmandats
Urteilsanalyse
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Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung mit der einschränkenden Maßgabe des Wiederauflebens im Fall der Niederlegung des Wahlmandats durch den neu mandatierten Rechtsanwalt ist nach Meinung des Oberlandesgerichts Dresden unzulässig.

11. Nov 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 22/2021 vom 11.11.2021

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Sachverhalt

Dem Angeklagten wurde ein Pflichtverteidiger bestellt. Später zeigte sich dem Gericht ein neuer Rechtsanwalt als Wahlverteidiger an. Daraufhin hob der Vorsitzende der Strafkammer die Pflichtverteidigerbestellung mit der Maßgabe auf, dass die alte Bestellung wieder auflebt, sollte das Wahlmandat niedergelegt werden. Im Vorfeld hatte der Wahlverteidiger mitgeteilt, dass die Verteidigung durch ihn nicht gesichert sei. Der entbundene Pflichtverteidiger legte sofortige Beschwerde gegen die Wiederauflebensklausel ein.

Entscheidung: Wiederauflebensklausel greift in Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwalts ein

Die sofortige Beschwerde war erfolgreich.

Dem vormaligen Pflichtverteidiger stehe gegen die Wiederauflebensklausel ein Beschwerderecht zu. Zwar könne der Pflichtverteidiger seine Entbindung grundsätzlich nicht anfechten. Hier liege aber ein atypischer Fall vor, in dem der Pflichtverteidiger beschwert sei. Die Entscheidung stelle einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwalts gemäß Art. 12 Abs. 1 GG dar.

Die sofortige Beschwerde sei auch begründet. Die Wiederauflebensklausel sei aufzuheben, sodass es bei der Aufhebung der Bestellung des Pflichtverteidigers verbleibe. Da die Verteidigung durch den Wahlverteidiger nicht gesichert sei, sei zu befürchten, dass der Wahlverteidiger das übernommene Mandat alsbald wieder niederlegen wird. Für diesen Fall habe der Gesetzgeber gemäß § 143a Abs. 1 Satz 2 StPO eine Ausnahme von der Entbindung des Pflichtverteidigers vorgesehen. Hingegen werde durch die Wiederauflebensklausel ein schwebender Zustand der Bestellung des Pflichtverteidigers geschaffen, für den es weder in der StPO noch in der BRAO eine Grundlage gebe.

Praxishinweis

Die Regelung des § 143a Abs. 1 Satz 2 Var. 1 StPO wird im Zusammenhang mit dem Problemfall des Hinausdrängens des Pflichtverteidigers diskutiert. So ist die Pflichtverteidigerbestellung nach dieser Norm aufrechtzuerhalten, wenn zu befürchten ist, dass der Wahlverteidiger das Mandat demnächst niederlegen und seine Bestellung als Pflichtverteidiger beantragen wird. Die Rechtsprechung hatte ein solches «Erschleichen» der Bestellung vor allem bei Mittellosigkeit des Beschuldigten angenommen (Krawczyk in BeckOK StPO § 143a StPO Rn. 4). Die Regelung des § 143a Abs. 1 StPO wird als zu pauschal kritisiert. Der Gefahr, dass der Wahlverteidiger das Mandat alsbald niedergelegt, um seine Bestellung zu beantragen und so den bisherigen Pflichtverteidiger zu verdrängen, werde hinreichend dadurch begegnet, dass der bisherige Pflichtverteidiger nach Niederlegung des Mandats durch den Wahlverteidiger wieder bestellt wird (Krawczyk in BeckOK StPO § 143a Rn. 5). Für das vom OLG Dresden in der berichteten Entscheidung gewählte Wiederauflebenden der Bestellung gibt es jedoch keine gesetzliche Grundlage.

OLG Dresden, Beschluss vom 03.09.2021 - 3 Ws 78/21 (LG Dresden), BeckRS 2021, 32472