Anmerkung von
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
Aus beck-fachdienst Erbrecht 11/2020 vom 20.11.2020
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Sachverhalt
Die 2016 verstorbene Erblasserin errichtete 2002 eine handschriftliche Verfügung von Todes wegen mit folgendem Wortlaut:
„Testament
Zum alleinigen Erben meines Besitzes bestimme ich Herrn U. H. - ausgenommen ist das Haus. Hier erhält Herr H. das Wohnrecht auf Lebenszeit.
Ich mache Herrn H. zur Auflage, daß er alle meine Tiere gut versorgt.
Das Haus erben zu gleichen Teilen
a) J. H. z. Z. wohnhaft …
b) M. S. z. Z. wohnhaft ….
Sollte Herr H. vor mir sterben, oder unsere Beziehung beendet sein, erhalten die Mädchen alles - inklusive gleicher Auflage.
eigenhändige Unterschrift“
Mit Beschluss kündigte das Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins zugunsten des Beteiligten zu 1 an; der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2 (= Beschwerdeführerin) wurde zurückgewiesen.
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2 schlossen die Beteiligten vor dem Nachlassgericht am 12.12.2017 einen Vergleich u.a. mit folgendem Inhalt:
„1. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der Beteiligte H. einen Erbschein erhält.
Die Beteiligte K. nimmt zu diesem Zweck den Erbscheinsantrag vom 04.02.2017 zurück.
2. Der Beteiligte H. verpflichtet sich in Vollzug des Testaments der Erblasserin, der Beteiligten K. die Hälfte des Eigentums an dem zum Nachlass gehörenden Grundbesitz bis sp. 28.02.2018 unentgeltlich zu übertragen, die Auflassung zu erklären und die Eintragung in das Grundbuch zu beantragen.
3. Der Beteiligte H. verpflichtet sich eine Auflassungsvormerkung zugunsten der Beteiligten K. für den Fall seines Todes an seiner Miteigentumshälfte eintragen zu lassen.“
Danach erteilte das Nachlassgericht dem Beteiligten zu 1 einen Erbschein, der ihn als Alleinerben ausweist und bzgl. des Vergleichs eine vollstreckbare Ausfertigung für die Beteiligte zu 2.
Nachdem die Ziffern 2 und 3 des Vergleichs bislang nicht umgesetzt worden sind, beantragte die Beschwerdeführerin nunmehr beim Nachlassgericht, nach § 887 ZPO ermächtigt zu werden, die Auflassung für das näher bezeichnete Grundstück zu erklären.
Das Nachlassgericht wies den Antrag mit der Begründung zurück, dass der Vergleich vom 12.12.2017 keinen vollstreckungsfähigen Inhalt habe und deswegen nicht Grundlage der Zwangsvollstreckung sein kann.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde.
Entscheidung: Der Senat weist darauf hin, dass die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Nachlassgerichts erfolglos sein dürfte.
Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit können die Beteiligten, soweit der Gegenstand der Vereinbarung ihrer Disposition unterliegt, einen Vergleich schließen (§ 36 FamFG). Dies gilt grundsätzlich auch für das Erbscheinsverfahren. Insoweit können sich die Beteiligten verfahrensrechtlich über die Zurücknahme eines Erbscheinsantrags oder eines Rechtsmittels oder auch über einen Rechtsmittelverzicht einigen, materiell-rechtlich allerdings nicht über die Erbenstellung selbst (BayObLGZ 1966, 233, 236). Dabei können auch Gegenstände mitgeregelt werden, die selbst nicht Verfahrensgegenstand sind (z.B. Abfindung, Auseinandersetzung des Nachlasses), weil auch die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit im Kern darauf abzielen, Rechtsfrieden unter den Beteiligten zu schaffen. Eine Möglichkeit der Vollstreckung von Vergleichen nach § 36 FamFG ist dagegen nicht vorgesehen. Dies belegen §§ 366, 371 FamFG, die ihrerseits auf § 795 ZPO verweisen.
Ob eine im Erbscheinsverfahren vor dem Nachlassgericht protokollierte Vereinbarung als Vollstreckungstitel i.S.v. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO anzusehen ist, für den eine Vollstreckungsklausel erteilt werden kann, wird unterschiedlich beurteilt.
Der Senat ist - wie das BayObLG (NJW-RR 1997, 1368) - der Auffassung, dass der von den Beteiligten in einem Erbscheinsverfahren geschlossene Vergleich kein Vollstreckungstitel i.S.v. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist. Unmittelbar ist § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ohnehin nicht anwendbar, da er nur für die dort genannten Titel der ZPO, nicht aber für Vergleiche nach § 36 FamFG gilt. Der Senat ist aber der Ansicht, dass auch keine entsprechende Anwendbarkeit in Betracht kommt, weil die Vorschrift von Vergleichen ausgeht, die „zur Beilegung des Rechtsstreits seinem ganzen Umfang nach oder in betreff eines Teiles des Streitgegenstandes” geschlossen werden. Angesichts dieses Wortlautes ging der ZPO-Gesetzgeber davon aus, dass die Verfahrensbeteiligten über den Verfahrensgegenstand im materiellen Sinn verfügen können müssen.
Im Erbscheinsverfahren fehlt es jedoch an einer solchen materiellen Verfügungsbefugnis (BayObLGZ 1997, 217). Die beteiligten Erbprätendenten können über die Erbenstellung gerade nicht verfügen, sondern regelmäßig nur durch verfahrensrechtliche Handlungen und Erklärungen darauf Einfluss nehmen, ob - und gegebenenfalls mit welchem Inhalt - ein Erbschein erteilt wird. Soweit der gerichtliche Vergleich eine verfahrensrechtliche Verfügung der Beteiligten zum Gegenstand hat, bedarf es eines Vollstreckungstitels aber nicht, da die entsprechenden Erklärungen, die in einem im Nachlassverfahren geschlossenen Vergleich abgegeben werden, gegenüber dem Nachlassgericht unmittelbar wirksam werden (z.B. Rücknahme eines Erbscheinsantrages). Ein Bedürfnis für die Anwendung des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO besteht daher allenfalls insoweit, als im Vergleich andere vermögensrechtliche Positionen als die Erbenstellung geregelt werden, die gerade nicht Gegenstand des Erbscheinsverfahrens sind (z.B. Vermächtnisse, Abfindungen, Fragen der Auseinandersetzung oder Pflichtteilsansprüche).
Soweit sich die Beteiligten also vorliegend geeinigt haben, dass dem Beteiligten zu 1 ein Erbschein zu erteilen ist, kann diese Regelung schon nicht Gegenstand eines Vergleichs in dem Sinne sein, dass damit das materielle Erbrecht erfasst wird. Ist eine (materiell-rechtliche) Einigung insoweit aber nicht möglich, kann sie schon deshalb nicht die Grundlage einer Zwangsvollstreckung sein.
Gegen die Anwendung des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die letztgenannten Fälle sprechen auch verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten, die im Fall von Meinungsverschiedenheiten unter den Beteiligten über den Vollzug des Vergleichs auftreten können. Dies gilt vor allem für die Frage, welches Gericht über eine Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) zu entscheiden hätte. Eine Zuständigkeit des Nachlassgerichts, (auch) über solche Gegenstände zu entscheiden, wäre keinesfalls sachgerecht, abgesehen davon, dass das Erbscheinsverfahren also solches auch keine Rechtskraft kennt.
Praxishinweis
Dieser Hinweisbeschluss betrifft ein vor allem bei eigenhändigen Testamenten immer wichtiger werdende Möglichkeit der Streitbeilegung, nämlich den Vergleich über die Testamentsauslegung (Auslegungsvertrag).
Dabei handelt e sich um einen Vertrag zwischen Personen, die ein Erbrecht oder einen Anspruch auf ein Vermächtnis behaupten oder bestreiten, über die Auslegung einer Verfügung von Todes wegen im Hinblick auf die Erbenstellung (vgl. BGH NJW 1993, 256; BayObLG BeckRS 2009, 12348; OLG Frankfurt a. M. DNotZ 2001, 143), die Rechte und Pflichten mehrerer Erben untereinander (z.B. Teilungsverbote und -anordnungen) oder die Rechte aus Vermächtnissen (vgl. BGH NJW 1981, 1562).
Der Disposition der Beteiligten entzogen sind dagegen Auflagen (§§ 2192 ff. BGB), die Anordnung einer Testamentsvollstreckung (§§ 2197 ff. BGB), die Vormundbenennung (§ 1776 BGB) und der Entzug der elterlichen Vermögenssorge für den Nachlass (§ 1638 BGB).
Die Beteiligten sind dabei nicht darauf beschränkt, unter mehreren vertretbaren Auslegungen eine auszuwählen (a.A. OLG Frankfurt a. M. DNotZ 2001, 143, 149). Sie können auch eine nach allgemeinem Verständnis abwegige Interpretation vereinbaren (vgl. BGH NJW 1986, 1812). Ein solcher Vertrag ist nach hier vertretener Auffassung des OLG München ein Vergleich i.S.d. § 36 FamFG (für vergleichsähnlichen Charakter: KG Rpfleger 2004, 101, 102; offengelassen von BGH NJW 1986, 1812, 1813). Er verpflichtet die Beteiligten schuldrechtlich zur Herbeiführung der Rechtsfolgen, die der zugrunde gelegten Auslegung entsprechen (Eisele, Vertragliches Einvernehmen über die Auslegung unklarer letztwilliger Verfügungen, 2002, 49 ff. [„Binnenvergleich“]; Weiß GS Küchenhoff, 1987, 389 (394); aA Dressler ZEV 1999, 289, 291 f. [„ipso jure ... bereits vollzogen“]).
Im Falle von zur Erfüllung notwendigen Erbschafts- bzw. Erbteilsübertragungen ebenso wie bei Vereinbarungen über Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte oder Geschäftsanteile an einer GmbH bedarf der Vertrag nach den dafür einschlägigen Vorschriften der notariellen Beurkundung (BGH NJW 1986, 1812, 1813 mit weiteren Nachweisen; für generelle Beurkundungspflicht bei erbrechtsbezogenen Verträgen: Dressler ZEV 1999, 289, 292; Selbherr ZErb 2005, 10, 15) oder der gerichtlichen Protokollierung. In allen anderen Fällen ist der Abschluss eines solchen Auslegungsvertrags formfrei möglich.
Im Erbscheinsverfahren kann es allerdings im Hinblick auf dessen Funktion, die Testierfreiheit des Erblassers verfahrensmäßig abzusichern, sowie mit Rücksicht auf die mit öffentlichem Glauben verbundene drittschützende Wirkung des Erbscheins keine materiell-rechtliche Bindung an einen erbrechtsbezogenen Auslegungsvertrag geben (BayObLG NJW-RR 1991, 587; aA OLG Frankfurt a. M. MDR 1990, MDR Jahr 1990 Seite 56; a.A. bei „vertretbarer Interpretation“ Dressler ZEV 1999, 289, 292; unklar OLG Frankfurt a. M. DNotZ 2001, 143, 148 f.). Der Vertrag erzeugt aber in jedem Falle verfahrensrechtliche Bindungswirkung in der Weise, dass jeder Beteiligte verpflichtet ist, im Erbscheinsverfahren Erklärungen abzugeben, zurückzunehmen oder zu unterlassen (KG Rpfleger 2004, 101, 102; OLG Stuttgart MDR 1984, 84 Seite 403; vgl. zur mittelbaren Bindung auf Grund Feststellungsurteils Eisele, Vertragliches Einvernehmen über die Auslegung unklarer letztwilliger Verfügungen, 2002, 128 ff.). Vereinbarungswidrig gestellte Anträge oder eingelegte Rechtsmittel sind dann mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig zu verwerfen, und zwar unabhängig davon, ob das Gericht die zugrunde gelegte Auslegung für vertretbar hält. Auf diesem Weg unlösbar ist allerdings die abredewidrige Anregung eines Vertragsteils an das Gericht, einen Erbschein gem. § 2361 Abs. 1 S. 1 BGB von Amts wegen einzuziehen (vgl. BayObLG BeckRS 2002, 30279870). In diesem Fall sind die übrigen Beteiligten auf ihre Ersatz- und sonstigen Ansprüche wegen Vertragsverletzung angewiesen.
Mit Recht lehnt der Senat es im vorliegenden Fall ab, eine im Erbscheinsverfahren vor dem Nachlassgericht protokollierte Vereinbarung als Vollstreckungstitel i.S.v. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO anzusehen. Andernfalls müsste das Nachlassgericht nämlich auch über eine Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO entscheiden. Eine Zuständigkeit des Nachlassgerichts, (auch) über solche Gegenstände zu entscheiden, wäre keinesfalls sachgerecht. Hinzu kommt, dass das Erbscheinsverfahren als solches auch keine Rechtskraft kennt, so dass Bindungswirkungen zwischen den Beteiligten nicht entstehen können.
Diese Entscheidung führt allerdings zu dem Ergebnis, dass im Erbscheinsverfahren eine umfassende und endgültige Streitbeilegung durch einen vom Nachlassgericht protokollierten Vergleich i.S.d. § 36 FamFG nicht möglich ist. Richtigerweise wird ein solcher aber ohnehin außerhalb des Erbscheinsverfahrens und vor Stellung des Erbscheinsantrags geschlossen, und zwar, falls er beurkundungspflichtige Vereinbarungen (z.B. Grundstücksübertragungen) enthält, vor einem Notar. Im Falle der notariellen Beurkundung kann dieser zudem bei einem vollstreckungsfähigen Inhalt vollstreckbare Ausfertigungen erteilen, wenn einer oder mehrere Beteiligte ihre Zahlungs-, Herausgabe- und Übereignungspflichten nicht erfüllen. Gerade der diesem Streit zugrundeliegende Vergleich betraf außer dem Erbscheinsverfahren Grundstückangelegenheiten, für die die Notare nicht nur rechtlich zuständig sind, sondern auch die ungleich größere fachliche Kompetenz als ein Nachlassgericht besitzen. Ein Notar hätte nämlich zum Zwecke des Vollzugs der Ziffern 2 und 3 die Auflassung bzw. die Eintragungsbewilligung i.S.d. §§ 19, 20 GBO mitbeurkundet, so dass er die Grundbucheintragungen selbst hätte veranlassen können. Einer Vollstreckbarerklärung hätte es dann schon deshalb nicht mehr bedurft. Der Gang zum Notar wäre also die bessere Wahl gewesen, dieser Rechtstreit wäre vermieden worden.
OLG München, Beschluss vom 28.05.2020 - 31 Wx 126/20, BeckRS 2020, 28296