Urteilsanalyse
Keine Verlängerung der Räumungsfrist bei unzureichender Bemühung bei der Suche nach Ersatzwohnraum
Urteilsanalyse
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Macht der Mieter zur Begründung seines Antrags auf Verlängerung der Räumungsfrist nach § 721 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 ZPO geltend, die ursprünglich gewährte Räumungsfrist habe zur Beschaffung von Ersatzwohnraum nicht ausgereicht, hat das Gericht nach einem Beschluss des LG Berlin - erforderlichenfalls im Wege einer Beweiserhebung - tatsächliche Feststellungen dazu zu treffen, ob die vom Mieter bislang entfalteten Bemühungen hinreichend intensiv gewesen sind.

25. Sep 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff
Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 18/2020 vom 24.09.2020

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Sachverhalt

Die Beklagte wurde zur Räumung ihrer Wohnung verurteilt. Das Urteil ist seit dem 18.10.2019 rechtskräftig Die Beklagte beantragte im Anschluss die ursprünglich gewährte Räumungsfrist (31.07.2020) bis zu einem Zeitpunkt über den 18.10.2020 hinaus zu verlängern. Das Amtsgericht wies den Anspruch auf Verlängerung ab. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.

Entscheidung

Die Beschwerde hat zum Teil Erfolg. Soweit der Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist seit dem 01.08.2020 bis zum 18.10.2020 durch Beschluss vom Amtsgericht abgewiesen wurde, hat das Landgericht dies aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Ein Anspruch auf Verlängerung einer gerichtlich gewährten Räumungsfrist könne gemäß § 721 Abs. 3 ZPO insbesondere dann bestehen, wenn die Suche nach Ersatzwohnraum während der gewährten Räumungsfrist - trotz hinreichender Bemühungen des Mieters - erfolglos war. Diese Voraussetzungen seien nach dem bisherigen Vortrag der Beklagten erfüllt:

Die Beklagte habe - unter Vorlage eines fachärztlichen Attests - behauptet, die von ihr entfalteten Bemühungen zur Anmietung von Ersatzwohnraum seien nicht nur aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen, sondern auch pandemiebedingt nicht unerheblich erschwert. Sie seien deshalb bislang trotz intensiver Bemühungen erfolglos geblieben. Das Amtsgericht habe eine Verlängerung der Räumungsfrist über den 31.07.2020 hinaus verneint, da der „gesundheitliche Zustand der Schuldnerin für die Entscheidung weniger maßgeblich“ sei. Damit allerdings habe es den Vortrag der Beklagten nicht hinreichend zur Kenntnis genommen, bislang auch gesundheitsbedingt nicht zur erfolgreichen Anmietung von Ersatzwohnraum in der Lage gewesen zu sein.

Bei der neuerlich im Rahmen des § 721 Abs. 3 ZPO vorzunehmenden Interessenabwägung werde das Amtsgericht den gesamten Vortrag der Beklagten zu berücksichtigen und - erforderlichenfalls nach Durchführung einer Beweisaufnahme über ihren von den Klägern bestrittenen Vortrag - darüber zu befinden haben, ob der Beklagten auch bei hinreichend intensiver Suche tatsächlich die Anmietung von Ersatzwohnraum bis zum Ablauf des 31.07.2020 möglich wäre. Dabei werden nicht nur die besonderen persönlichen Verhältnisse der Beklagten zu berücksichtigen sein. Es sei auch zu erwägen, ob ihr mit Blick auf die zwischen den Parteien streitige Möglichkeit zur rechtzeitigen Beschaffung von Ersatzwohnraum nicht nur wegen der zusätzlichen pandemiebedingten Erschwernisse, sondern auch deshalb Beweiserleichterungen zu Gute kommen, weil die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in Berlin ausweislich der Mietenbegrenzungsverordnung des Senats vom 28.04.2015 besonders gefährdet sei.

Keinen Erfolg habe die Beschwerde, soweit mit ihr eine Erstreckung der Räumungsfrist über den 18.10.2020 hinaus begehrt werde. Denn gemäß § 721 Abs. 5 Satz 1 und 2 ZPO darf die Räumungsfrist, gerechnet vom Tage der Rechtskraft des Urteils an, nicht mehr als ein Jahr betragen. Diese Frist laufe somit am 18.10.2020 ab.

Praxishinweis

Dem Beschluss ist zuzustimmen.

Die Entscheidung über die Bewilligung, Verlängerung oder Verkürzung einer Räumungsfrist steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Es hat die Interessen der Parteien aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts gegeneinander abzuwägen (BayObLG, Beschluss vom 21.01.1975 - BReg. 3 Z 6/75, BayObLGZ 1975, 50). Maßgeblich sind immer die Umstände des Einzelfalls. Für die Interessenabwägung haben die persönlichen Verhältnisse der Parteien, insbesondere des Räumungsschuldners entscheidenden Einfluss. Entscheidend kann auch die gesundheitliche Verfassung – wie vorliegend – des Räumungsschuldners sein (AG Bergheim, Beschluss vom 11.01.1999 – 22 C 234/98, BeckRS 1999, 11389). Das Amtsgericht hat also zu Unrecht diesen Punkt trotz Vorlage eines Attestes unberücksichtigt gelassen.

Richtig ist auch, dass die Frist nicht über die gesetzliche Höchstdauer von einem Jahr nach Rechtskraft des Räumungsurteils – auch bei pandemiebedingten Schwierigkeiten – nicht verlängert werden kann (Ulrici in BeckOK, 01.07.2020, § 721 ZPO Rn. 4).

Unter den engen Voraussetzungen des § 765a ZPO ist aber weiterer Vollstreckungsschutz möglich (Seibel in Zöller. 33. Auflage 2020, § 721 ZPO Rn. 10).

LG Berlin, Beschluss vom 23.06.2020 - 67 T 57/20 (AG Berlin-Spandau), BeckRS 2020, 13465