Anmerkung von
RA Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Stuttgart
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 43/2021 vom 28.10.2021
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Sachverhalt
Die Beklagte betreibt einen Handel mit Nähmaschinen und Zubehör und unterhält in Bremen eine Filiale. Dort ist die Klägerin seit Oktober 2019 als geringfügig Beschäftigte gegen eine monatliche Vergütung von 432 EUR im Verkauf tätig. Im April 2020 war das Ladengeschäft aufgrund der „Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen, Zusammenkünften und Eröffnung bestimmter Betriebe zur Eindämmung des Corona-Virus“ der Freien Hansestadt Bremen vom 23.03.2020 geschlossen. Deshalb konnte die Klägerin nicht arbeiten und erhielt auch keine Vergütung.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung ihres Entgelts für den Monat April 2020 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs nach § 615 S. 1 und 3 BGB begehrt. Sie hat gemeint, die Schließung des Betriebs aufgrund behördlicher Anordnung sei ein Fall des von der Beklagten als Arbeitgeberin zu tragenden Betriebsrisikos. Dagegen hat die Beklagte Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die von der Freien Hansestadt Bremen zur Pandemiebekämpfung angeordneten Maßnahmen beträfen das allgemeine Lebensrisiko, das nicht beherrschbar und von allen gleichermaßen zu tragen sei.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.
Entscheidung
Die vom LAG zugelassene Revision der Beklagten hatte Erfolg. Die Klägerin habe – so der 5. Senat, dessen Entscheidung zunächst nur als Pressemitteilung vorliegt (FD-ArbR 2021, 442723) – keinen Anspruch auf Entgeltzahlung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs.
Der Arbeitgeber trage auch nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn – wie hier – zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von Sars-CoV-2-Infektionen durch behördliche Anordnung in einem Bundesland die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen würden. In einem solchen Fall realisiere sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung sei vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage. Es sei Sache des Staates, ggf. für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile – wie es zum Teil mit dem erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld erfolgt sei – zu sorgen. Soweit ein solcher – wie bei der Klägerin als geringfügig Beschäftigter – nicht gewährleistet sei, beruhe dies auf Lücken in dem sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem. Aus dem Fehlen nachgelagerter Ansprüche lasse sich jedoch keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten.
Praxishinweis
Die Entscheidung, die für den ein oder anderen Arbeitsrechtler überraschend sein mag, von mir aber erhofft wurde, ist zu begrüßen. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist bei derartigen Betriebsschließungen in der Tat Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage (vgl. mein NZA-Editorial in Heft 5/2020).
Die Entscheidung zeigt aber auch, dass dem Bundesarbeitsministerium (BMAS) nur geraten werden kann, sich zu tagesaktuellen, brisanten Rechtsfragen tunlichst nicht zu äußern. Das BMAS hat an der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung zwar maßgeblich mitzuwirken, ist aber nicht dazu berufen, in Kraft getretene und in einzelnen Punkten zweifelhafte Normen quasi rechtsberatend zu bewerten. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an eine Stellungnahme des BMAS vom 26.02.2020. Verkündet wurde, der Arbeitnehmer behalte seinen Entgeltanspruch, wenn der Betrieb aufgrund behördlicher Infektionsschutzmaßnahmen vorübergehend geschlossen werden müsse; der Arbeitgeber trage das Betriebsrisiko nach § 615 S. 3 BGB. Nachträglich für das BMAS peinlich, wie man sich täuschen kann!