Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 07/2023 vom 14.04.2023
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Sachverhalt
Das klagende Krankenhaus hat am 28.01.2019 eine bulgarische Staatsangehörige notfallmäßig aufgenommen und bis zum 30.01.2019 behandelt. Die Klägerin beantragte bereits in der Aufnahmenacht per Fax bei dem beklagten Sozialhilfeträger die Übernahme der Behandlungskosten. Dem Antrag war beigefügt eine von der Patientin unterschriebene „Kostensicherungsvereinbarung“, in welcher diese die Klägerin bevollmächtigte, in ihrem Namen Klage zu erheben sowie jeden gegenwärtigen und künftigen Anspruch aus der Behandlung an die Klägerin abtrat. Die Beklagte versagte sowohl gegenüber der Patientin als auch gegenüber der Klägerin wegen fehlender Mitwirkung die Erbringung von Leistungen und lehnte in einem weiteren Bescheid die Übernahme der Kosten für die stationäre Behandlung ab.
Dagegen richtet sich die Klage des Krankenhauses, die in beiden Vorinstanzen erfolglos war (LSG Nordrhein-Westfalen, NZS 2021, 859 m. Anm. Knispel). Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, der Anspruch als Nothelfer müsse so lange eingreifen, bis sich die Behörde im positiven Sinne Kenntnis vom Einsetzen der Sozialhilfeleistung verschafft habe. Der Kostenfreistellungsanspruch kann nicht vom Abtretungsverbot des § 17 SGB XII erfasst sein.
Entscheidung
Das BSG weist die Revision als unbegründet zurück. Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Kosten einer Krankenhausbehandlung als Nothelferin nach § 25 Abs. 1 SGB XII kommt nicht in Betracht, weil die Beklagte bereits am ersten Tag des Bedarfs auf Hilfe bei Krankheit gem. § 48 SGB XII Kenntnis von der Notlage der Patientin hatte. Damit setzen ggfs. bestehende Ansprüche auf Sozialhilfe ausschließlich in der bedürftigen Person an. Diese Einschränkung des Erstattungsanspruchs als Nothelfer beruht auf einer langjährigen Rechtsprechung des BSG, die vom Gesetzgeber nicht geändert wurde, auch nicht, als er den Anspruch des Nothelfers mit Wirkung vom 01.03.2015 in § 6a AsylbLG nahezu wortgleich an § 25 SGB XII angelehnt normierte.
Die Leistung steht der Klägerin auch aus abgetretenem Recht nicht zu. Ein Anspruch auf Krankenbehandlung kann gem. § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht abgetreten werden. Dies gilt auch für die Kosten, die als „Sachleistungssurrogat“ seitens des Sozialhilfeträgers erbracht werden. Eine teleologische Reduktion des § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII kommt nur in den Fällen in Betracht, in denen es nicht mehr um den originären Sozialhilfeanspruch und damit primären Leistungsanspruch nach dem SGB XII geht, sondern um den Ausgleich der Folgen des wegen eines Systemversagens entstandenen Schadens als Sekundäranspruch. Dies kann der Fall sein, wenn der Berechtigte die Leistung selbst vorfinanziert hat. Eine wirksame Abtretung kommt auch in solchen Fällen nur in Betracht, wenn der Sachleistungsanspruch bereits festgestellt ist.
Praxishinweis
1. Der allgemeine Rechtsgrundsatz, dass sich ein Leistungserbringer seiner Pflicht zur Hilfeleistung nicht mit dem Argument entziehen kann, der Vergütungsanspruch sei ungeklärt, sollte nicht in Zweifel gezogen oder relativiert werden. Das ist Gegenstand zahlreicher auch internationaler Vereinbarungen. Wenn aber die Staatengemeinschaft den Anspruch auf Behandlung im Notfall garantiert, kann man die Augen nicht verschließen, wenn es um die Vergütung geht.
2. Rechtssystematisch mag es plausibel sein, den Anspruch des Nothelfers auf die Zeit zu begrenzen, in der der Sozialhilfeträger keine Kenntnis hatte. Damit läuft faktisch der im Gesetz geregelte Erstattungsanspruch nach § 25 SGB XII leer (vgl. a. die Anmerkung von Knispel, NZS 2021, 859 und Keller, NZS 2023, 229 sowie Leber, Das Krankenhaus 2019, 318).
3. Rechtssystematisch plausibel ist auch die Aussage, dass es sich bei dem Anspruch auf Krankenhilfe nach § 48 SGB XII um eine Sachleistung handelt, die durch Leistungserbringer erfüllt werden. Solche Art Ansprüche können nicht nach § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII abgetreten werden. Kann das auch dann noch zutreffen, wenn der Sachleistungsanspruch durch den Leistungserbringer erfüllt wurde und es nun um seine Rechnung geht? Die Vergütung ist nicht Surrogat für die Sachleistung, sondern ein Anspruch, der nach § 630a BGB dem Krankenhaus zunächst gegen den Patienten selbst zusteht. Wer seine Miete nicht bezahlt und eine Kündigung des Wohnraums provoziert, erlangt wegen dieser Mietschulden einen Freistellungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger mit der Folge, dass der Kündigungsgrund entfällt. Ist der die sofortige Krankenhausaufnahme begründende Notfall nicht ein Sachverhalt, der mindestens ebenso zu behandeln ist wie die drohende Obdachlosigkeit?
4. § 52 Abs. 3 Satz 2 SGB XII bestimmt seit dem 1.1.2020, dass die Leistungserbringer - dazu gehören auch die Krankenhäuser - ihre Leistungen direkt mit dem Sozialamt abrechnen, gem. § 109 SGB V. Dann muss in diesem Rechtsstreit die Bedürftigkeit gesondert geprüft werden, ohne dass dem das Abtretungsverbot gem. § 17 SGB XII entgegensteht. Auf die fehlende Mitwirkung kann sic h der Sozialhilfeträger allenfalls nach Maßgabe des § 66 SGB I berufen.
4. Das LSG Hamburg hat mit Urteil vom 06.05.2021 (BeckRS 2021, 16808) auch zur Frage Stellung genommen, ob dem Krankenhaus ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder in Analogie zu § 670 BGB zusteht und dies verneint (dazu auch Keller, NZS 2023, 229).
BSG, Urteil vom 06.10.2022 - B 8 SO 2/21 R, BeckRS 2022, 44200