Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl
Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 15/2021 vom 29.07.2021
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Sachverhalt
Die 16 Jahre alte Antragstellerin begehrte Verfahrenskostenhilfe für ein auf ihre Anregung eingeleitetes Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB. Das Amtsgericht lehnte die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe ab und bestellte eine Rechtsanwältin zum Verfahrensbeistand für die Antragstellerin. Die Antragstellerin legte gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe sofortige Beschwerde ein, die das OLG zurückwies. Dagegen legte sie Rechtsbeschwerde zum BGH ein.
Entscheidung: Keine Verfahrensfähigkeit, § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG eng auszulegen
Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.
Die Antragstellerin sei für das vom AG eingeleitete Verfahren nach § 1666 BGB nicht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG verfahrensfähig, sodass kein wirksamer Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe vorliege. Nach wohl überwiegender Auffassung sei der Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG nach seinem Wortlaut auf mindestens 14 Jahre alte Minderjährige beschränkt, die in einem ihre Person betreffenden Verfahren ein ihnen nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend machten. Genannt würden insoweit etwa das Widerspruchsrecht nach § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB, die Einwilligung zur Annahme als Kind gemäß § 1746 Abs. 1 BGB, das Umgangsrecht nach § 1684 Abs. 1 BGB und § 1685 Abs. 1 BGB sowie das Widerspruchsrecht bei der Auswahl des Vormunds gemäß § 1778 Abs. 1 Nr. 5 BGB oder das Antragsrecht im Rahmen des Austauschs eines Vormunds nach § 1887 Abs. 2 Satz 2 BGB. Verfahren nach § 1666 BGB unterfielen hingegen nicht § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG, weil sie kein dem Minderjährigen zustehendes konkretes subjektives Recht beträfen.
Dem sei zu folgen. § 1666 BGB beinhalte keinen bürgerlich-rechtlichen Anspruch des Kindes, sondern eine im Rahmen des dem Staat durch Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG auferlegten Wächteramts bestehende Eingriffsbefugnis, mit der die verfassungsrechtliche Position des Kindes und sein aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG folgendes Recht auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern geschützt werden solle. Ein «einklagbares» Recht des Kindes darauf, dass das Familiengericht Maßnahmen nach § 1666 BGB treffe, bestehe nicht. Vielmehr folge der Anspruch des Kindes auf ein Eingreifen des Staates zu seinem Schutz aus Art. 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG. Dabei handle es sich aber um kein dem Minderjährigen nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht im Sinn des § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG. Dafür spreche bereits der Wortlaut dieser Norm. Ein anderes, weiter gefasstes Gesetzesverständnis seit auch nicht mit Blick auf die Rechtsposition des mindestens 14 Jahre alten Minderjährigen geboten. In einem auf die Person bezogenen Kindschaftsverfahren sei die Wahrnehmung der Kindesinteressen originäre Aufgabe des Verfahrensbeistands.
Praxishinweis
§ 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG betrifft Kinder, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, und dient der Deckungsgleichheit zwischen materieller Berechtigung und Verfahrensfähigkeit (Burschel in BeckOK FamFG, § 9 FamFG, Rn. 7). Die Streitfrage, ob der über 14 Jahre alte Minderjährige in einem Verfahren nach § 1666 BGB verfahrensfähig ist, hat der BGH nunmehr – ablehnend – entschieden (siehe in diesem Zusammenhang auch zur Entscheidung der Vorinstanz Schwamb in NZFam 2021, 234).
BGH, Beschluss vom 12.05.2021 - XII ZB 34/21, rechtskräftig (OLG Frankfurt a. M.), BeckRS 2021, 17756