Urteilsanalyse
Keine Unwirksamkeit eines gegenseitigen Erbvertrags von Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft bei nachfolgender Heirat und späterer Scheidung
Urteilsanalyse
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Haben die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft einen Erbvertrag geschlossen oder der Erblasser zu Gunsten seines Partners ein Testament errichtet und heiraten die Partner später, findet nach einem Beschluss des OLG Rostock auch im Fall der Scheidung vor dem Tod § 2077 BGB keine entsprechende Anwendung.

14. Jan 2022

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
       
Aus beck-fachdienst Erbrecht 01/2022 vom 10.01.2022

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Sachverhalt

Der Erblasser verstarb 2017. Der Beteiligte zu 1) war sein einziges Kind. Er war mit der Beteiligten zu 2) verheiratet. Diese Ehe wurde im Oktober 2001 geschlossen und mit rechtskräftigem Urteil vom 06.04.2006 wieder geschieden.

Am 02.05.2000 errichteten der Erblasser und die Beteiligte zu 2) einen Erbvertrag. In diesem setzten sich beide gegenseitig zu Allleinerben ein und bestimmten zu Erben des Letztversterbenden die Tochter der Beteiligten zu 2) und den Beteiligten zu 1).

Der Beteiligte zu 1) hat nach dem Erbfall die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als alleinigen gesetzlicher Erbe nach dem Erblasser ausweist, weil die letztwillige Verfügung des Erblassers zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau mit der Auflösung der Ehe gemäß § 2077 BGB unwirksam geworden sei.

Das Amtsgericht hat den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1). Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Entscheidung

Der Erbvertrag hat seine Wirksamkeit nicht gemäß §§ 2279, 2077 BGB mit der Scheidung der Ehe zwischen dem Erblasser und der Beteiligten zu 2) verloren. § 2077 BGB ist keine widerlegliche Vermutung für den Erblasserwillen, sondern enthält eine dispositive Auslegungsregel für die in der Norm festgestellten Fallgruppen enthält (BGH FamRZ 1960, 28; OLG Celle NJW-?RR 2003, 1304). Er ist seinem Wortlaut nach auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht unmittelbar anwendbar, und zwar auch nicht bei nachfolgender Eheschließung (OLG Frankfurt BeckRS 2016, 6193; BeckRS 2016, 9184; a.A. noch BGH BeckRS 1961, 31348711). Das Zusammenleben ohne Trauschein gehört schon seit Langem zur gesellschaftlichen Normalität, ohne dass sich hieran ohne Weiteres als Regelfall eine Eheschließung anschließt. Während die Ehe oder das sie vorbereitende Verlöbnis im Allgemeinen auf eine lebenslange familienrechtliche Bindung ausgelegt sind, wird die nichteheliche Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau i.d.R. ohne rechtliche Bindung und ohne bestimmte Dauer eingegangen (OLG Celle NJW-?RR 2003, 1304). Daher kann einer letztwilligen Verfügung oder einem Erbvertrag bei nichtehelichen Lebenspartnern selbst dann, wenn sie später die Ehe miteinander schließen nicht ohne weiteres die Annahme eines besonderen partnerschaftlichen Bindungswillens unterstellt werden.

Deshalb ist der tatsächliche Wille des Erblassers bei Errichtung des Testamentes oder Abschluss des Erbvertrages zu ermitteln (BGH BeckRS 1961, 31348711). Es ist also festzustellen, ob der Erblasser, hätte er die spätere Trennung in Betracht gezogen, in gleicher Weise verfügt hätte. Fehlen Anhaltspunkte hierzu in der Verfügung von Todes wegen, ist der vermutliche hypothetische Erblasserwille zu ermitteln. Hierfür kann es bereits darauf ankommen, ob der Erblasser eine feste, dauerhafte Bindung bereits ins Auge gefasst hat oder seinen Partner nur gegenüber Erbansprüchen gesetzlicher Erben absichern wollte.

Die Eheschließung zwischen dem Erblasser und der Beteiligten zu 2) erfolgte in diesem Fall erst 17 Monate nach Abschluss des Erbvertrags. Der Erbvertrag lässt nicht erkennen, dass er in Vorbereitung der Eheschließung geschlossen worden wäre. Vielmehr hat die Beteiligte zu 2) vorgetragen, dass sie und der Erblasser zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrages noch nicht an eine Eheschließung gedacht hätten. Soweit der Beteiligte zu 1) auf die Scheidungsauseinandersetzung, eine Zugewinnausgleichsvereinbarung, den damit verbundenen Versorgungsausgleich, die Vermögenstrennung sowie schließlich auf das alleinige Sorgerecht des Erblassers verweist, könnten diese Umstände allenfalls als Anzeichen für einen bereits im Zeitpunkt des Erbvertragsschlusses bestehenden Willen des Erblassers gewertet werden. Allerdings vermögen diese Umstände nicht zu belegen, dass der Erblasser die Beteiligte zu 2) im Falle einer kommenden Trennung nicht auch als Erbin eingesetzt hätte. Eher das Gegenteil wird hierdurch angedeutet. Wenn die Parteien des Erbvertrags ihr Vermögen im Übrigen akribisch getrennt und auch sonst ihre nachehelichen Regelungen getroffen haben, steht die Vermutung nahe, dass sie, wäre dies ihr Wille gewesen, auch den Erbvertrag aufgehoben hätten. Dafür, dass der Erblasser nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die Notwendigkeit eines solchen Handelns zur Umsetzung seines Willens nicht mehr zu erkennen, ergibt sich nach Aktenlage nichts.

Praxishinweis

Diese Entscheidung belegt, dass die selbst in Fachkreisen weit verbreitete Ansicht, dass mit der Scheidung einer Ehe alle letztwilligen Verfügungen, mit denen sich die geschiedenen Ehegatten, Verlobten bzw. Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft kraft Gesetzes ohne förmliche Aufhebung ihre Wirksamkeit verlieren, mitunter falsch ist. Mag das in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auch so sein, so zeigt der vom OLG Rostock entschiedene Fall doch, dass es Fälle gibt, in denen diese Wirkung nicht eintritt. Völlig zu Recht weist der Senat dabei auch auf die tiefgreifenden Veränderungen im gesellschaftlichen Zusammenleben hin, so dass derartige „Ausnahmefälle“ in Zukunft immer häufiger die Rechtsanwälte, Notare und Gerichte beschäftigen werden: Das Zusammenleben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist heute nämlich keineswegs zwangsläufig eine Vorstufe zur anschließenden Heirat, darf also nicht als Verlöbnis i.S.d. Gesetzes missverstanden werden. In der Mehrzahl der Fälle geschieht das Zusammenleben – wie hier – (zunächst) ohne jede Heiratsabsicht. Dies hat gravierende Folgen - auch und gerade - für das Erbrecht.

Deshalb lehnt es die absolut herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur nämlich auch mit Recht ab, die Auslegungsregel des § 2077 BGB auf derartige Fälle analog anzuwenden, in denen die Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft nach Errichtung der Verfügung von Todes wegen doch noch heiraten. Im Unterschied zur Ehe einschließlich des vorhergehenden Verlöbnisses wollen die Partner einer solchen nichtehelichen bzw. eheähnlichen Lebensgemeinschaft keine lebenslangen (familien-)rechtlichen Bindungen eingehen, sondern haben sich ganz bewusst für ein Zusammenleben ohne rechtliche Verbindlichkeiten und ohne bestimmte Dauer entschieden (OLG Celle NJW-?RR 2003, 1304). An der erforderlichen, vom Gesetzgeber ungewollten Regelungslücke dürfte es auch schon deshalb fehlen, weil in den letzten Jahrzehnten immer wieder der letztlich ergebnislose Versuch unternommen worden ist, die zugrundeliegenden Rechtsbeziehungen zu regeln.

Auch die vom Senat zitierte BGH-Entscheidung vom 03.05.1961 (BeckRS 1961, 31348711) rechtfertigt die Anwendung des § 2077 BGB bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften nicht. In dem zugrundeliegenden Fall der 1921 geschlossenen Ehe eines jüdischen Mitbürgers, die 1939 einvernehmlich geschieden worden war, lagen nämlich zwischen der Errichtung des Erbvertrags und der Heirat nur 6 Wochen, so dass nach damaligem Verständnis von einem Verlöbnis ausgegangen werden muss, was die Anwendung des § 2077 BGB nach h.M. ohnehin problemlos rechtfertigt (MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl. 2020, BGB § 2077 Rn. 18 m.w.Nw.). In dem hier vom Senat entschiedenen Fall bestand bei Abschluss des Erbvertrags dagegen keinerlei Heiratsabsicht. Deshalb sieht der Senat mit Recht keinen Widerspruch dieser höchstrichterlichen Entscheidung zu seiner eigenen.

Ist aber die Auslegungsregel des § 2077 BGB in diesen „Ausnahmefällen“ unanwendbar, so bedarf es der vom Senat propagierten erläuternden bzw. ergänzenden Auslegung, um herauszufinden, ob der Erblasser trotz der Scheidung bzw. Auflösung der Ehe an seinen letztwilligen Verfügungen zu Gunsten seines Ex-Ehegatten festhalten wollte. Diese Entscheidung zeigt dabei, dass die Unwirksamkeit keineswegs zwangsläufige Folge dieser Auslegung sein muss.

Daraus sollten zunächst alle Berater in Scheidungsverfahren die Lehre ziehen, dass es bei der Aushandlung von Scheidungsfolgenvereinbarungen sicherer ist, Verfügungen von Todes wegen, die den geschiedenen Ehegatten begünstigen, förmlich durch Widerruf, Aufhebungsvertrag oder Rückgabe aus der besonderen amtlichen Verwahrung unwirksam zu machen, als auf die Auslegungsregeln der §§ 2077, 2279 BGB zu vertrauen. Scheidungsverfahren sollten folgerichtig standardmäßig Anlass bieten, die Ehepartner zu befragen, ob es derartige Verfügungen von Todes wegen gibt. Sollte dies der Fall sein, sollte diesen dringend geraten werden, diese formgerecht aufzuheben bzw. zu widerrufen. Der Senat des OLG Rockstock lässt nämlich das Argument, dass eine allumfassende Scheidungsfolgenvereinbarung auch den Erblasserwille dokumentiere, alle letztwilligen Verfügungen der Ehegatten sollten aufgehoben sein, mit Recht nicht gelten, kommt es bei der Testamentsauslegung doch grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Errichtung an, nicht aber auf spätere Willensänderungen. Besser wäre es im entschiedenen Fall also gewesen, wenn der Erblasser mit seiner Noch-Ehefrau im Rahmen des Scheidungsverfahrens einen Aufhebungsvertrag gemäß § 2290 BGB geschlossen hätte.

Aber auch die Notare, die mit der Beurkundung einer umfassenden Regelung aller Scheidungsfolgen beauftragt sind, müssen aus dieser Rechtslage Konsequenzen ziehen, wollen sie sich nicht dem Vorwurf einer Verletzung ihrer erweiterten Belehrungspflicht gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG aussetzen (vgl. dazu BGH NJW 1996, 522, 524). Es ist daher jedem Notar dringend zu empfehlen, in einer entsprechenden Urkunde über die begrenzte Reichweite der Auslegungsregel des § 2077 BGB zu belehren. Ein Vermerk könnte etwa so lauten:

„Der Notar hat die Beteiligten darüber belehrt, dass vor der Eheschließung errichtete Testamente und Erbverträge, in denen sich die Ehegatten zu Erben eingesetzt oder sonst bedacht haben, mit der Scheidung nicht zwangsläufig unwirksam werden, und deshalb empfohlen, diese – falls gewünscht – formgerecht zu widerrufen bzw. aufzuheben.“

Darüber hinaus sollten Notare künftig bei der Gestaltung von Erbverträgen, die zwar unverheiratete, aber zusammenlebende Beteiligte miteinander schließen, die vom Senat aufgeworfene hypothetische Frage nach der Fortgeltung im Falle einer späteren Scheidung der erst anschließend eingegangenen Ehe ausdrücklich in der Urkunde selbst beantworten:

„Jeder von uns behält sich den Rücktritt von diesem Erbvertrag durch notariell beurkundete Erklärung gegenüber dem anderen vor. Im Falle unserer Heirat entfällt dieser Rücktrittsvorbehalt. Falls einer von uns die Scheidung bzw. Auflösung unserer etwaigen Ehe beantragt, werden alle in diesem Erbvertrag enthaltenen letztwilligen Verfügungen unwirksam.“ 

Dabei handelt es sich übrigens nicht um eine auflösende Bedingung, die gem. § 35 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GBO die Vorlage eines Erbscheins im Grundbuchberichtigungsverfahren nach einem Erbfall erforderlich macht, sondern lediglich um eine Konkretisierung der gesetzlichen Auslegungsregel des § 2077 (KG BeckRS 2012, 25094).

Mit solchen oder ähnlichen Formulierungen kann am einfachsten und sichersten verhindert werden, dass trotz einer Scheidung bzw. Auflösung einer Ehe sowie einer allumfassenden Scheidungsfolgenvereinbarung der geschiedene Ehepartner in den Genuss der vollen Erbenstellung oder eines Vermächtnisses kommt. Andernfalls muss man – wie hier - trefflich darüber streiten, ob der Senat des OLG Rostock im konkreten Fall zum richtigen Auslegungsergebnis gelangt ist.

OLG Rostock, Beschluss vom 13.07.2021 - 3 W 80/20, BeckRS 2021, 25585