Urteilsanalyse
Keine Übernahme der Kosten für Implantate
Urteilsanalyse
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Nur ausnahmsweise werden nach der Rechtsprechung des BSG gemäß § 28 Abs. 2 SGB V Kosten für implantologische Leistungen von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen. Dazu muss die Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbracht werden. Eine medizinische Gesamtbehandlung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn sie sich aus human- und zahnmedizinisch notwendigen Bestandteilen zusammensetzt. Dazu reicht die Wiederherstellung der Kaufunktion als Ziel der Behandlung nicht aus, sondern ein darüberhinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben.

11. Mrz 2022

Anmerkung von

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 05/2022 vom 04.03.2022

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Sachverhalt

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin begehrte die Erstattung der Kosten für eine selbstbeschaffte Behandlung mit Zahnimplantaten im Oberkiefer (6.544,45 EUR) und eine hierauf bezogene vollständige Versorgung mit zahnprothetischen Leistungen. Die Klägerin litt unter einem prothetisch unzulänglich versorgten Restgebiss. Sie beantragt bei der Beklagten die Versorgung mit Zahnimplantaten. Dazu legte sie einen Befundbericht vor, in dem eine Schleimhautveränderung im mittigen Bereich des Hartgaumens beschrieben wird. Eine Exzision werde dringlich empfohlen. Eine prothetische Versorgung mit Implantaten sei indiziert, um eine entzündliche Irritation der Mundschleimhaut zu verhindern. Die Beklagte lehnte die Übernahme der Kosten ab. Eine nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V die Bezuschussung rechtfertigende Ausnahmeindikation für einen „besonders schweren Fall“ läge nicht vor.

Das SG weist die Klage nach Einholung eines weiteren Gutachtens ab, ebenfalls das LSG. Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Auch bei einer medizinischen Gesamtbehandlung diene der mit der Zahnimplantation verbundene zahnmedizinische Teil hauptsächlich der Wiederherstellung der Kaufunktion. Einen sachlichen Grund für eine Schlechterstellung außerhalb der medizinischen Gesamtbehandlung gebe es nicht.

Entscheidung

Das BSG weist die Revision zurück. Nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V bedarf es einer Ausnahmeindikation, zu der auch der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien Stellung genommen hat. Eine entsprechende Ausnahmesituation liegt hier nicht vor. Die im Gesetz erwähnte „medizinische Gesamtbehandlung“ muss sich aus verschiedenen, nämlich aus human- und zahnmedizinisch notwendigen Bestandteilen zusammensetzen. Nicht die Wiederherstellung der Kaufunktion im Sinne eines zahnärztlichen Gesamtkonzepts, sondern ein darüberhinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben. Das Tatbestandsmerkmal der medizinischen Gesamtbehandlung schließt von vornherein Fallgestaltungen aus, in denen das Ziel der implantologischen Behandlung nicht über die reine Versorgung mit Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit hinaus reicht.

Der Senat betont, dass in den letzten beiden Jahrzehnten implantatgestützter Zahnersatz eine zunehmende Bedeutung erlangt hat. Es ist Sache des Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, ob der Leistungskatalog entsprechend angepasst oder erweitert wird. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes kommt hier nicht in Betracht, denn es liegt im Rahmen der Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der GKV näher zu bestimmen. Das Verfassungsrecht nehme es grundsätzlich hin, dass der Gesetzgeber den Leistungskatalog der GKV unter Abgrenzung der Leistungen ausgestaltet, die der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden.

Auch die vom GBA in den Richtlinien aufgestellten Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Unerheblich ist, dass herausnehmbarer schleimhautgetragener Zahnersatz bei der Klägerin im Zeitpunkt der Implantatversorgung kontraindiziert war. Mit einer medizinischen Gesamtbehandlung ist es nicht gleichzusetzen, dass die Klägerin eine medizinisch mögliche Operation im Gaumenbereich nicht durchführen lässt und sich allein daraus die Notwendigkeit einer implantologischen Behandlung ergibt. 

Praxishinweis

1. Das Urteil entspricht einer ständigen Rechtsprechung, wie sie auch von den Landessozialgerichten akzeptiert wird. Das LSG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 17.08.2020 (BeckRS 2020, 23291) entschieden, dass die Beseitigung von Würgereiz nicht ausreicht, um den Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine implantologische Versorgung zu begründen, ebenso LSG Berlin-Brandenburg, BeckRS 2021, 14359. Ausführlich nimmt Knispel (BeckOK SozR, § 28 SGB V, Rn. 32 ff.) zu den Ausnahmesituationen gemäß der GBA-Richtlinie Stellung.

Mit Beschluss vom 28.10.2021 (BeckRS 2021, 34154) hat der Senat nochmals betont, dass die Regelungen über die Versorgung der Versicherten mit Zahnersatz nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen. Welche Behandlungsmaßnahmen in den GKV-Leistungskatalog einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung der Versicherten zugeordnet werden, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen. Die Grenze des Ermessens ist erst dann erreicht, wenn es sich um lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankungen handelt. Einen solchen Schweregrad erreicht auch die drohende Zahnlosigkeit nicht (BSG, a.a.O.).

2. Jedenfalls im letztgenannten Fall ging es um einen Versicherten, der Grundsicherung nach dem SGB XII bezog. Die Frage ist nun, ob der Betroffene Anspruch auf Übernahme der Kosten gegenüber dem Sozialhilfeträger hat. Grundsätzlich ist dies zu verneinen, da nach dem SGB XII Gesundheitsleistungen nur in dem Umfang seitens der Sozialhilfe übernommen werden, wie dies im SGB V geregelt ist (z.B. LSG Baden-Württemberg, BeckRS 2007, 49113). Auch unter dem Aspekt der Gewährleistung des medizinischen Existenzminimums bleibt es bei dem Grundsatz der Eigenverantwortung; ausnahmsweise käme wegen einer abweichenden Bedarfslage eine Darlehensgewährung in Betracht (dazu z.B. Hamdorf, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Auflage, § 48 Rn. 52).

BSG, Urteil vom 16.08.2021 - B 1 KR 8/21 R, BeckRS 2021, 34164