Urteilsanalyse
Keine Pfändung zweckgebundener Corona-Soforthilfen aufgrund von Altforderungen
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Zweckgebundene Corona-Soforthilfen sind nach einem Beschluss des BGH nicht aufgrund von Forderungen aus dem Zeitraum vor der Gewährung der Soforthilfe pfändbar. In Höhe der bewilligten und auf ein Pfändungsschutzkonto ausgezahlten Hilfe sei der Pfändungsfreibetrag zu erhöhen.

30. Apr 2021

Anmerkung von

Rechtsanwalt Nils Andersson-Lindström, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 09/2021 vom 29.04.2021

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Sachverhalt

Die Schuldnerin unterhält bei der Drittschuldnerin ein Pfändungsschutzkonto. Im März 2020 wurde der Schuldnerin aus dem Bundesprogramm "Corona-Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbständige" und dem ergänzenden Landesprogramm "NRW-Soforthilfe 2020" eine Zuwendung bewilligt und anschließend ihrem Pfändungsschutzkonto gutgeschrieben. Die Soforthilf sollte gemäß den Bedingungen ausschließlich zur Milderung von finanziellen Notlagen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie dienen und einem Aufrechnungsverbot gegenüber dem jeweiligen Kreditinstitut unterliegen. Die Gläubigerin hat gegen die Schuldnerin titulierte Forderungen aus dem Jahr 2016, aus denen sie die Zwangsvollstreckung in die Forderungen der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin betreibt. Auf Antrag der Schuldnerin hat das Vollstreckungsgericht den pfändungsfreien Betrag der Schuldnerin um den Betrag der erhaltenen Corona-Hilfe erhöht.

Entscheidung

Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde und anschließende Rechtsbeschwerde der Gläubigerin sind erfolglos geblieben.

Bei der Corona-Soforthilfe handele es sich um eine nicht-übertragbare und daher nach § 851 Abs. 1 ZPO auch nicht pfändbare Forderung. Denn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger könne nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen, was eine Abtretung nach § 399 1. Fall BGB ausschließe. Dies erfasse insbes. zweckgebundene Forderungen, soweit der Zweckbindung ein schutzwürdiges Interesse zugrunde liege. Die Corona-Soforthilfe sei insoweit als zweckgebunden einzustufen, denn sie diene der Abmilderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Sie solle nicht laufenden Lebensunterhalt abdecken, sondern Liquiditätsengpässe überbrücken, die seit dem 01.03.2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Aus den Bestimmungen zur Beihilfegewährung gehe hervor, dass die Corona-Soforthilfe nicht der Befriedigung von Gläubigeransprüchen diene, die vor dem 01.03.2020 entstanden sind. Denn die Mittel seien zur Finanzierung von Verbindlichkeiten für fortlaufende erwerbsmäßige Sach- und Finanzausgaben vorgesehen.

Wegen der Zweckbindung der Corona-Soforthilfe sei der Pfändungsfreibetrag auf dem Pfändungsschutzkonto der Schuldnerin entsprechend § 850k Abs. 4 ZPO auf den Antrag der Schuldnerin zu erhöhen. Zwar seien die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Weder handele es sich bei der Corona-Soforthilfe um eine als Arbeitseinkommen zu qualifizierende Zuwendung noch um eine der Schuldnerin gewährte Sozialleistung. Vielmehr stelle diese eine freiwillig gewährte Subvention zugunsten von Kleingewerbetreibenden dar, die dazu dienen solle, eine durch die Corona-Pandemie begründete wirtschaftliche Notlage auszugleichen. Hinsichtlich solcher, aufgrund landes- oder bundesrechtlicher Vorschriften gewährter öffentlich-rechtlicher Subventionen, enthalte das Gesetz aber eine planwidrige Lücke, die im Hinblick auf den mit der Gewährung der Corona- Soforthilfe verfolgten Zweck dahin zu schließen sei, dass in entsprechender Anwendung des § 850k Abs. 4 ZPO der pfändungsfreie Betrag um den Betrag der gewährten Zuwendung zu erhöhen sei.

Praxishinweis

Mit dem Beschluss liegt nun eine erste Entscheidung des BGH zu den Corona-Hilfen vor, weitere Entscheidungen werden sicherlich noch folgen.

Im Hinblick auf die streitgegenständlichen Corona-Soforthilfen ist die Entscheidung sicherlich zutreffend und bewegt sich auf einer Linie mit der finanzgerichtlichen Rechtsprechung (BFH NJW 2020, 2749) und Literatur (Ahrens NZI 2020, 495; Jungmann WuB 2020, 457; Meller-Hannich MDR 2020, 1025). Entscheidend kommt es für die Frage des Pfändungsschutzes nach dem BGH auf den jeweiligen Zweck der Förderung an, der vorliegend eine Deckung von Altverbindlichkeiten nicht vorsah. Diese Erwägungen dürften gleichermaßen für die November- und Dezemberhilfen gelten, welche ausschließlich der Abfederung der durch die Schließungsanordnungen bedingten Umsatzeinbrüche im November und Dezember 2020 dienten. Ebenso erfasst dürften die Überbrückungshilfen I, II und II sein, die jeweils Umsatzrückgänge bzw. Fixkosten in den vom Programm abgedeckten Monaten kompensieren sollten bzw. sollen. Erhebliche Zweifel sind hingegen angebracht, ob diese Erwägungen auch auf vergünstigte Kreditmittel anwendbar sind, welche der Wirtschaft aus den diversen KfW-Sonderprogrammen zur Verfügung gestellt werden. Zwar sind auch diese zweckgebunden zu verwenden und erlauben (mit Ausnahme des Sonderprogramms Konsortialfinanzierungen) keine Refinanzierung alter Verbindlichkeiten, sondern lediglich in die Zukunft gerichtet Investitionen, die Finanzierung des Umlaufvermögens und Akquisitionen. Gleichwohl sprechen die hier ganz anderen finanziellen Dimensionen wohl eher dafür, in diesen Fällen aus der Zweckgebundenheit nicht auf eine Unübertragbarkeit zu schließen.

Höchstrichterlich ungeklärt bleibt bislang das Schicksal von Corona-Hilfen im Insolvenzverfahren. Soweit diese Mittel bei Insolvenzantragstellung beim Schuldner noch vorhanden sind, fragt sich, inwieweit sie überhaupt dem Insolvenzbeschlag nach § 36 InsO unterliegen. Hier dürften die Kreditmittel, sobald sie ausgezahlt sind, jedenfalls im Regelfall dem Insolvenzbeschlag unterfallen. Denn Kontoguthaben, welche aus pfändungsfreiem Vermögen angespart wurden, sind ihrerseits pfändbar (LG Ellwangen ZInsO 2015, 2143). Wenn der Schuldner das Geld dagegen ausgibt, unterliegen die erworbenen Gegenstände auch dann dem Insolvenzbeschlag, wenn die dafür verwendeten Mitteln unpfändbar waren (Braun/Bäuerle, 8. Aufl. 2020, InsO § 36 Rn. 1). Somit bleibt auch hier das Schicksal der Corona-Hilfen nur insoweit offen, wie sie auf einem Pfändungsschutzkonto des Schuldners gelandet sind, welches auch in der Insolvenz nach § 36 Abs. 1 InsO zu respektieren ist.

BGH, Beschluss vom 10.03.2021 - VII ZB 24/20 (LG Bonn), BeckRS 2021, 6247