Anmerkung von
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
Aus beck-fachdienst Erbrecht 14/2021 vom 13.12.2021
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Sachverhalt
Das Nachlassgericht hat eine zuvor angeordnete Nachlasspflegschaft aufgehoben. Der ehemalige Nachlasspfleger sowie die Beteiligten zu 2. und 4. haben angeregt, erneut eine Nachlasspflegschaft anzuordnen. Dem ist der Beteiligte zu 5. entgegengetreten.
Die Nachlassrechtspflegerin hat den „Antrag“ der Beteiligten zu 2. auf erneute Anordnung einer Nachlasspflegschaft zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die von der Erblasserin erteilte Generalvollmacht könne im Außenverhältnis nur durch alle Erben gemeinsam widerrufen werden, sodass der Bevollmächtigte unter Zustimmung der weiteren Beteiligten dringende Handlungen vornehmen könne.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 2. mit ihrer „sofortigen“ Beschwerde. Sie macht im Wesentlichen geltend, nach herrschender Ansicht sei jeder Miterbe einzeln und für seine Person zum Widerruf der transmortalen Vollmacht befugt, wodurch ihm die Verfügungsbefugnis für solche Rechtsgeschäfte entzogen sei, die der Zustimmung der Miterben bedürften.
Entscheidung: Das Amtsgericht hat mit Recht davon abgesehen, eine Nachlasspflegschaft anzuordnen, weil der Bevollmächtigte weiterhin handlungsfähig ist.
Das Nachlassgericht hat auch bei Zugrundelegung der von der Beschwerde vertretenen herrschenden Meinung Recht mit seiner Ansicht, dass der Bevollmächtigte unter Zustimmung der weiteren Beteiligten dringende Handlungen vornehmen kann, weil der Widerruf nur einzelner Miterben das Vertretungsrecht hinsichtlich der übrigen Miterben unberührt lässt. Dies hat zur Folge, dass der Bevollmächtigte nicht schlechthin handlungsunfähig wird, sondern für den Nachlass noch zusammen mit den widerrufenden Miterben handeln kann (MünchKomm/Schubert, BGB, 8. Aufl. 2018, § 168 Rn. 54).
Dass die Beteiligte zu 2. (deren Miterbenstellung unterstellt) und die Beteiligte zu 4. hier zur Sicherung des Nachlasses erforderlichen Maßnahmen nicht zustimmen würden, kann insbesondere vor dem Hintergrund nicht angenommen werden, dass sie ausweislich ihrer Anregungen ein Sicherungsbedürfnis sehen. Die Mitwirkungsbedürftigkeit eröffnet zugleich die Möglichkeit einer Kontrolle.
Ein Fürsorgebedürfnis kann auch nicht damit begründet werden, eine ordnungsgemäße Verwaltung durch den Beteiligten zu 5. könne nicht als gewährleistet angesehen werden. Einem Nachlasspfleger obläge nämlich nicht die ordnungsgemäße Verwaltung im Sinne des § 2038 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz BGB, sondern lediglich die Sicherung des Nachlasses. Unstimmigkeiten unter den Kindern der Erblasserin hinsichtlich der Verwaltung des Nachlasses und Misstrauen begründen daher kein Fürsorgebedürfnis, weil dies nicht anders wäre, wenn bereits sämtliche Erben feststünden. Bei der Nachlasspflegschaft handelt es sich nämlich nur um eine subsidiäre Maßnahme staatlicher Fürsorge (OLG Schleswig FamRZ 2015, 80).
Zudem sind die Erben nicht sämtlich unbekannt. Hier steht bereits jetzt fest, dass die Beteiligten zu 3. bis 5. Erben zu je zumindest ¼ Anteil geworden sind. Lediglich hinsichtlich des verbleibenden ¼ Anteils ist offen, ob dieser aufgrund des Einzeltestaments ebenfalls den Beteiligten zu 3. bis 5. oder aufgrund des Ehegattentestaments der Beteiligten zu 2. zugefallen ist, sodass grundsätzlich allenfalls eine auf den letztgenannten Anteil beschränkte Nachlasspflegschaft in Betracht käme (dazu OLG Schleswig a.a.O.). Auch insoweit allerdings kann vor dem Hintergrund der Regelung des § 2038 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz BGB ein Fürsorgebedürfnis nicht erblickt werden, da nach dieser Bestimmung die zur Erhaltung des Nachlasses notwendigen Maßregeln jeder Miterbe ohne Mitwirkung der anderen treffen kann. Darüber hinaus gehende Maßnahmen ordnungsgemäßer Verwaltung - ausgenommen die Veräußerung von Nachlassgegenständen - kann überdies die Mehrheit auf der Grundlage des § 2038 Abs. 2 i.V.m. § BGB § 745 BGB durchführen, wobei im vorliegenden Fall drei von höchstens vier Miterben bereits feststehen. Damit ist die vorliegende Konstellation mit dem von der Beschwerde angeführten, der Entscheidung OLG Karlsruhe vom 02.05.2003 (BeckRS 2003, 8269) zugrundeliegenden Fall nicht vergleichbar, denn dort war der Erbe schlechthin unbekannt, wobei zudem gegen den Bevollmächtigen staatsanwaltliche Ermittlungen geführt worden waren.
Praxishinweis
Dieser Fall ist an der Schnittstelle zwischen Erbrecht und Betreuungsrecht angesiedelt, die in zerstrittenen Familien oftmals Anlass für rechtliche Auseinandersetzungen bietet. Hat der Erblasser einem oder mehreren seiner Kinder eine Vorsorgevollmacht erteilt, so wird diese im Hinblick auf § 168 S. 1 BGB nahezu immer transmortal („über den Tod hinaus“) erteilt. Nur so ist gewährleistet, dass der Bevollmächtigte unabhängig vom Tod des Vollmachtgebers alle Geschäfte für diesen erledigen kann. Wird der Vollmachtgeber nicht ausschließlich vom Bevollmächtigten beerbt, so gewinnt diese Transmortalität an Brisanz, weil dieser auch für die nicht bevollmächtigten Erben weiterhin handeln kann. Sind der Bevollmächtigte und seine Miterben jedoch zerstritten, so werden die nicht bevollmächtigten Miterben in der Regel „die Vollmacht widerrufen“. Genau dies ist auch im vorliegenden Fall geschehen.
In der Literatur ist dabei umstritten, ob der Widerruf einer vom Erblasser erteilten transmortalen Vollmacht – wie vom Nachlassgericht angenommen - nur von allen Erben gemeinsam oder von jedem Miterben ausschließlich für sich widerrufen werden kann. Die herrschende Meinung geht davon aus, dass zwar jeder Miterbe zum Widerruf berechtigt ist, die Wirkungen des Widerrufs aber nur für ihn, nicht aber für die anderen Erben gelten (MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2021, BGB § 168 Rn. 55; Joachim/Lange ZEV 2019, 62, 64; krit. Staudinger/Schilken, 2019, Rn. 34; aA Papenmeier, Transmortale und postmortale Vollmacht als Gestaltungsmittel, 2013, 129 ff.; unklar BGH NJW 1962, 1718). §§ 2038, 2040 stehen dieser Auffassung übrigens nicht entgegen, weil der Widerruf einer transmortalen Vollmacht selbst keine Maßnahme der Nachlassverwaltung ist, da dieser nicht auf Rechte oder Vermögenswerte aus dem Nachlass einwirkt; dagegen ist die Kündigung des der Vollmacht zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses (z.B. Auftrag, Geschäftsbesorgungsvertrag) sehr wohl eine Maßnahme der Nachlassverwaltung, die § 2040 Abs. 1 BGB unterfällt (Joachim/Lange a.a.O.).
Haben nur einzelne Miterben die Vollmacht widerrufen, kann der Bevollmächtigte deshalb die übrigen, nicht widerrufenden Miterben weiterhin wirksam vertreten. Für den Nachlass handeln kann der Bevollmächtigte deshalb grundsätzlich aber nur noch gemeinsam mit den widerrufenden Miterben (§ 2038 BGB). Ausnahmen gelten jedoch für Maßnahmen der Notverwaltung gemäß § 2038 Absatz 1 S. 2 Hs. 2 BGB und der laufenden Verwaltung gemäß §§ 2038 Abs. 2, 745 BGB. In diesen beiden Fallgruppen kann der Bevollmächtigte – wie die von ihm vertretenen Miterben selbst – ohne Mitwirkung des widerrufenden Miterben handeln. Voraussetzung ist dabei immer, dass die konkrete Maßnahme von der Vollmacht auch gedeckt ist (Joachim/Lange a.a.O.).
Ein Widerruf der Vollmacht durch einen Miterben setzt ferner voraus, dass diese überhaupt durch einen von mehreren Miterben widerrufen werden kann. Nach § 168 S. 2 BGB ist sie allerdings „im Zweifel“ widerruflich. Liegt – wie regelmäßig – der Vollmacht ein Auftragsverhältnis zu Grunde, ergibt sich die Widerruflichkeit zusätzlich aus §§ 671 Abs. 1, 168 BGB. Allerdings erlaubt diese Vorschrift auch eine abweichende Vereinbarung. Deshalb könnte der Erblasser versucht sein, die Widerruflichkeit im Rahmen eines Auftragsverhältnisses wenigstens durch einen einzelnen Miterben auszuschließen, bspw. mit folgender in der Praxis gebräuchlichen Formulierung: „Die Vollmacht gilt über meinen Tod hinaus und erlischt nur, wenn ich oder alle Erben sie widerrufen.“
Liegt allerdings einer transmortalen Vollmacht kein Auftrags- oder anderes Rechtsverhältnis zu Grunde, ist eine unwiderrufliche Erteilung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, die sich dabei auf den unmissverständlichen Wortlaut des § 168 S. 2 BGB stützen kann, von vorneherein ausgeschlossen (BGH NJW 1988, 2603).
Aber auch bei einer transmortalen Vorsorge- oder Generalvollmacht wird man mit Recht bezweifeln dürfen, dass ein Erblasser mit einer solchen Formulierung den Vollmachtswiderruf eines Erben ausschließen kann. Zunächst widerspricht die Erteilung einer unwiderruflichen General- bzw. Vorsorgevollmacht dem höchstrichterlich anerkannten Grundsatz der Befugnis des Vollmachtgebers zum jederzeitigen Widerruf als Ausdruck der Privatautonomie (BGH NJW 2011, 66, 67). Wenn aber der Erblasser zum jederzeitigen Widerruf berechtigt ist, so haben die Erben auf der Grundlage der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 BGB) zwingend das gleiche Recht, eine Vollmacht des Erblassers zu widerrufen. Darüber hinaus ist der Vollmachtgeber und spätere Erblasser daran gehindert, zwar sich einen Widerruf vorzubehalten, seinen Erben diese Befugnis dagegen zu entziehen (BGH BeckRS 2010, 18794 Rn. 25). Der Erblasser kann diese Differenzierung nämlich nur unter der Bedingung wirksam gestalten, dass er dabei die Form der letztwilligen Verfügung (Vermächtnis, Auflage, Testamentsvollstreckung) wählt oder die Erben an dem betreffenden Rechtsgeschäft beteiligt. Eine zeitlich unbegrenzte Verpflichtungsbefugnis zu Lasten der Erben kann er dagegen durch einen einfachen Widerrufsverzicht in der Vollmachtsurkunde nicht erreichen.
Damit ändern Formulierungen in der Vollmachtsurkunde über den notwendigen Widerruf durch alle Erben nichts an der Befugnis jedes einzelnen von ihnen, die vom Erblasser erteilte transmortale Vollmacht für seine eigene Person widerrufen zu können.
OLG Köln, Beschluss vom 28.06.2021 - 2 Wx 184/21, BeckRS 2021, 35200