Urteilsanalyse
Keine Nachfrageobliegenheit beim ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist
Urteilsanalyse
Lorem Ipsum
© Stefan Yang / stock.adobe.com

Ein Rechtsanwalt darf nach einem Beschluss des BGH vom 2.12.2020 regelmäßig erwarten, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn er einen erheblichen Grund vorträgt. Demgemäß besteht keine Verpflichtung, sich innerhalb des Laufs der Berufungsbegründungsfrist beim Gericht zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben wird.

17. Feb 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 03/2021 vom 11.02.2021

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Vergütungs- und Berufsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Vergütungs- und Berufsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Vergütungs- und Berufsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

In einem Stufenverfahren auf Trennungsunterhalt wies das Familiengericht den Antrag der Antragstellerin in der Auskunftsstufe ab. Dagegen legte die Antragstellerin rechtzeitig Beschwerde ein. Da eine Beschwerdebegründung nicht rechtzeitig einging, wies das OLG auf die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist hin. Daraufhin begründete die Antragstellerin die Beschwerde und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie trug vor und machte durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft, rechtzeitig einen an das OLG adressierten Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist um einen Monat zur Post gegeben zu haben. Das OLG versagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwarf die Beschwerde der Antragstellerin. Dagegen legte diese Rechtsbeschwerde ein.

Entscheidung: Vertrauensschutz beim ersten Verlängerungsantrag

Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.

Das OLG habe zu Unrecht ein Organisationsverschulden des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin mit der Begründung angenommen, dieser hätte die beantragte gerichtliche Fristverlängerung kontrollieren und dazu beim Beschwerdegericht nachfragen müssen, ob dem Verlängerungsgesuch stattgegeben worden sei. Das OLG habe zutreffend den von der Antragstellerin glaubhaft gemachten Sachvortrag zugrunde gelegt, ein Antrag auf Fristverlängerung um einen Monat rechtzeitig zur Post gegeben zu haben. Handle es sich aber wie hier um einen ersten Fristverlängerungsantrag, der auf erhebliche Gründe gestützt sei, dürfe der Antragsteller auf die Bewilligung der Fristverlängerung vertrauen. Der Antragsteller eines Fristverlängerungsantrags müsse sich auch nicht innerhalb des Laufs der Beschwerdebegründungsfrist beim Gericht erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist oder ob ihm stattgegeben wird. Dies folge schon daraus, dass die Fristverlängerung auch noch durch einen am letzten Tag der Frist nach Dienstschluss eingehenden Verlängerungsantrag erwirkt werden kann. Der Vertrauensschutz gelte grundsätzlich solange, bis das Gericht über den Verlängerungsantrag entschieden habe. Soweit einer früheren Entscheidung des VI. Zivilsenats des BGH abweichend eine Erkundigungspflicht noch vor Ablauf der gesetzlichen Frist entnommen werden könnte, halte dieser Senat selbst daran nicht fest.

Praxishinweis

Bei den Verlängerungsgründen für die Frist zur Berufungsbegründung ist nach § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO zwischen der ersten Verlängerung und weiteren Verlängerungen zu unterscheiden. Ein erster Verlängerungsantrag um einen Monat kann sowohl auf das Einverständnis des Gegners als auch auf die Darlegung erheblicher Gründe gestützt werden. Eine weitere Verlängerung kommt demgegenüber im Interesse der Verfahrensbeschleunigung nur mit dem Einverständnis des Gegners in Betracht (Wulff in BeckOK ZPO, ZPO § 520 Rn. 9). An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung werden bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt. Der bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung reicht zur Feststellung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf (BGH, Beschluss vom 9.5.2017 - VIII ZB 69/16 NJW 2017, 2041).

BGH, Beschluss vom 02.12.2020 - XII ZB 324/20, rechtskräftig (OLG Brandenburg), BeckRS 2020, 39907