Urteilsanalyse
Keine Hinweispflichten des Gerichts bei erfolgtem Hinweis in einer Pressemitteilung
Urteilsanalyse
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Es liegt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor, wenn das BAG nicht auf rechtliche Gesichtspunkte hinweist, die bereits Gegenstand einer Pressemitteilung des jeweils zuständigen Spruchkörpers waren.

10. Jul 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Martin Diller, Gleiss Lutz,, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 27/2020 vom 09.07.2020

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Sachverhalt

Im Ausgangsverfahren 3 AZR 137/19 (FD-ArbR 2020, 430409) hatten die Parteien um die Pensionskassenrente des Klägers gestritten, der bei der Pensionskasse des Bankenversicherungsvereins BVV versichert gewesen war. Der Kläger hatte von der beklagten Arbeitgeberin Anpassung seiner Betriebsrente nach § 16 BetrAVG verlangt. Die beklagte Arbeitgeberin hatte geltend gemacht, dem stehe § 16 III 2 BetrAVG entgegen, wonach eine Pensionskassenrente nicht an die Inflation anzupassen ist, wenn ab Rentenbeginn sämtliche auf den Rentenbestand entfallenden Überschussanteile zur Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet wurden. In Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen gab der 3. Senat des BAG der Klage mit Urteil vom 18.2.2020 (a.a.O.) statt. Das stattgebende Urteil begründete der Senat u.a. damit, dass in dem einschlägigen Tarif B des BVV eine Überschussverwendung für Sterbegeld vorgesehen sei. Da Sterbegeld nicht unter das BetrAVG falle, seien hier die Anforderungen der „Escape-Klausel“ des § 16 III 2 BetrAVG nicht erfüllt. Ähnlich hatte das BAG kurz zuvor bereits in einer parallel gelagerten Sache (FD-ArbR 2020, 424484) entschieden.

Die Anwälte der beklagten Arbeitgeberin griffen das Urteil des BAG mit Anhörungsrüge gemäß § 78a ArbGG an und machten geltend, in den unteren Instanzen ebenso wie in der Revisionsinstanz sei die Frage der Überschussverwendung für Sterbegeld nie problematisiert worden. Das BAG hätte deshalb die Parteien auf diesen Umstand vor Erlass seines Urteils hinweisen müssen.

Entscheidung

Die Anhörungsrüge blieb ohne Erfolg. Das BAG bestätigte seine Rechtsprechung, wonach es grundsätzlich Sache der Verfahrensbeteiligten ist, auch bei umstrittener oder problematischer Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht zu ziehen und ihren Vortrag darauf einzustellen. Eine Hinweispflicht bestehe nur, wenn das Gericht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen wolle, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauche.

Auf der Basis dieser Grundsätze verneinte der Senat eine Verletzung der Hinweispflicht. Denn am Tag der Urteilsverkündung in der Parallelsache 3 AZR 122/18 zehn Wochen vor der mündlichen Verhandlung in der Sache 3 AZR 137/19 habe das BAG eine Pressemitteilung abgesetzt (FD-ArbR 2019, 422853). Darin sei jedenfalls mit einem Satz auf die Problematik des Sterbegeldes eingegangen worden. Gewissenhafte und kundige Prozessbevollmächtigte müssten jedenfalls die Pressemitteilungen des maßgeblichen Spruchkörpers (hier: des jeweiligen Senats) sichten.

Im Übrigen argumentierte das BAG, dass eine mögliche Verletzung der Hinweispflicht jedenfalls folgenlos geblieben sei. Die beklagte Arbeitgeberin habe geltend gemacht, dass sie bei Erteilung eines entsprechenden Hinweises ergänzend vorgetragen hätte, dass tatsächlich die Pensionskasse des BVV Überschüsse nie für Sterbegeld verwendet habe. Auf diesen Umstand komme es aber für die Anwendbarkeit der Escape-Klausel des § 16 III 2 BetrAVG nicht an, denn insoweit sei bereits schädlich, dass das Tarifwerk des Tarifs B des BVV jedenfalls die Möglichkeit einer solchen Überschussverwendung eröffne.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist in zweifacher Hinsicht bedeutsam. Zum einen stellt das BAG noch deutlicher als in der Entscheidung 3 AZR 122/18 klar, dass für Pensionskassenrenten nach dem Tarif B des BVV die Escape-Klausel des § 16 III 2 BetrAVG grundsätzlich nicht anwendbar ist, auch wenn die Überschussanteile nie für Sterbegeld verwendet wurden.

Des Weiteren hält das BAG an den traditionell hohen Hürden für seine eigene Hinweispflicht fest. Hier gilt in besonderem Maße das alte Sprichwort „Schuster bleib bei deinem Leisten“. Bei allen Revisionsgerichten mit Ausnahme des BGH ist keine spezielle Zulassung erforderlich, sondern jeder Rechtsanwalt kann dort auftreten. Dann muss er es aber können und vor allem das notwendige Spezialwissen haben und ständig aktualisieren. Dass die Lektüre der Pressemitteilungen des BAG dazu gehört, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

BAG, Beschluss vom 03.06.2020 - 3 AZR 255/20 (F) (BAG), BeckRS 2020, 12655