Urteilsanalyse
Keine Haftung für Aufklärungsfehler bei unbekanntem Risiko
Urteilsanalyse
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Ist ein bestehendes Risiko dem aufklärenden Arzt nicht bekannt und musste es ihm auch nicht bekannt sein, kommt nach einem Beschluss des OLG Dresden eine Haftung wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten nicht in Betracht.  

18. Jan 2024

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Lucia Kretschmer, LEX MEDICORUM, Leipzig
 
Aus beck-fachdienst Medizinrecht 01/2024 vom 12.01.2024

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Sachverhalt


Das OLG Dresden setzte sich mit der Schmerzensgeldklage einer Klägerin auseinander, die sie auf eine Forderung aus eigenem Recht stützte. Streitgegenständlich waren angebliche Behandlungs- und Aufklärungsfehler, die ihr verstorbener Vater erlitten habe. Die Klägerin selbst verfügte über eine Generalvollmacht und Patientenverfügung ihres Vaters. Der Patient litt u. a. unter Diabetes mellitus Typ II, coronarer Dreigefäßerkrankung sowie einer chronischen Niereninsuffizienz. Seit November 2018 war er zur Dialyse bei der Beklagten. Um Hämodialysen leichter durchführen zu können, wurde dem Patienten im Mai 2019 ein Shunt (operativ eingelegte Kurzschlussverbindung des Gefäßnetzes am rechten Unterarm) gelegt, eine Kontrolle der Shuntfunktion erfolgte am 5.8.2019 durch das Diakonissenkrankenhaus. Hierbei wurden keine Auffälligkeiten festgestellt. Am 6.8.2019 erfolgte die planmäßige Dialysebehandlung bei der Beklagten, woraufhin der Patient die Praxis um 12 Uhr verließ. Die Klägerin erreichte ihren Vater am Nachmittag des gleichen Tages nicht, weswegen die väterliche Wohnung um 19:40 Uhr durch die Polizei geöffnet wurde. Der Patient wurde tot aufgefunden; in der Wohnung befanden sich in allen Räumen Blutspuren und am Unterarm des Patienten ein selbstgebastelter Verband aus Malerkrepp. Laut Angaben der Klägerin litt ihr Vater zusätzlich an Demenz. Das Ermittlungsverfahren gegen die Beklagte wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der Patient verstarb zwar an einem Blutverlust aus dem Dialyseshunt, jedoch konnte aus gutachterlicher Sicht kein todesursächlicher Behandlungsfehler manifestiert werden.

Die Klägerin behauptete, dass die Behandler der Beklagten die Dialyse behandlungsfehlerhaft durchführten und die Blutwerte bei Entlassung nicht kontrolliert hätten. Eine Aufklärung über das Risiko eines tödlichen Blutverlustes in Folge der Dialyse habe gegenüber dem russischsprachigen Patienten nicht stattgefunden. Die Beklagte entgegnete, es läge kein Behandlungsfehler vor; der Patient sei bei normalem Blutdruck und nach Verbandskontrolle entlassen worden. Über einen russisch sprechenden Arzt erfolgte zudem die Aufklärung über das Risiko des Blutverlustes, hierüber wurde auch die Klägerin mehrfach bei Besprechungen für Angehörige aufgeklärt.

Die Klage wurde erstinstanzlich abgewiesen. Zweitinstanzlich argumentierte die Klägerin, dass die fehlende Erwähnung etwaiger tödlicher Behandlungsfolgen in Standardliteraturwerken keine Aussagekraft über die Pflichten der Beklagten habe. Sie müsse als Spezialistin über das nötige Fachwissen verfügen.

Entscheidung

Das OLG beabsichtigte, die Berufung aufgrund offensichtlich fehlender Erfolgsaussicht ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen.

Der Klägerin stehe kein Schmerzensgeld zu, so das Gericht. Hierbei wurde auf das erstinstanzliche Gutachten Bezug genommen, das keine Hinweise auf einen möglichen Behandlungsfehler attestierte. Auf einen niedrigen Blutdruck bei der Behandlung sei ordnungsgemäß reagiert worden. Auch sei der Shuntverband ein standardisiertes Verfahren, was täglich bei einer Vielzahl an Patienten angewendet wird. Es sei im Einklang mit dem geführten Ermittlungsverfahren vielmehr davon auszugehen, dass der Patient nach festgestellter Blutung am Shunt selbst um Abhilfe bemüht war und die betroffene Stelle mit Malerkrepp abzukleben versuchte.

Auch eine Haftung für einen Aufklärungsfehler scheide aus. Soweit zum Behandlungszeitpunkt ein bestehendes Risiko dem Behandler nicht bekannt war und aufgrund fehlender ernsthafter Diskussion in der medizinischen Wissenschaft auch nicht bekannt sein musste, sei eine Haftung mangels Verschuldens auszuschließen. Dies gelte auch dann, wenn nur in anderen Spezialgebieten der medizinischen Wissenschaft eine Diskussion über das Risiko geführt werden würde.

Das Gericht lehnte zudem eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 630c Abs. 2 BGB ab. Die sich aus der Norm ergebende Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung sei Bestandteil der ärztlichen Behandlung. Infolgedessen müsse der Patient in der Regel Versäumnisse auf diesem Gebiet beweisen. Einen solchen Beweis habe die Klägerin jedoch nicht angetreten. Das OLG war schließlich der Auffassung, dass es nicht Angelegenheit der Beklagten sei, sicherzugehen, dass auch ein dementer Patient die notwendigen Maßnahmen bei einer Blutung aus dem Shunt (Notruf und Kompression der Blutungsstelle) tatsächlich beherrscht.

Praxishinweis

Die Entscheidung des OLG Dresden mag auf den Laien tragisch wirken, dogmatisch jedoch ist nicht nur die Herleitung, sondern auch das Ergebnis des Beschlusses nachvollziehbar und schlüssig. Einmal mehr erwägt das OLG Dresden eine transparente Trennung von Behandlungsfehlern unterschiedlichen Ursprungs sowie Aufklärungsfehlern. Es begrenzt die Aufklärungspflicht des Behandlers bei bestehender, aber unvermeidbarer Unkenntnis von Behandlungsrisiken. In einem obiter dictum nimmt es zudem Stellung zum Umgang mit dementen Patienten. Selbst wenn diese Ansicht in der Praxis zu einer möglichen Schwächung von Rechtspositionen gerade geistig beeinträchtigter und dementer Personen führt, entspricht auch sie einer logisch begründbaren Eingrenzung von Haftungskreisen des Behandlers.

OLG Dresden, Beschluss vom 1.11.2023 – 4 U 1238/23 BeckRS 2023, 33341