Anmerkung von Wiss. Mit. Dr. Alisha Ricard, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz
Aus beck-fachdienst Strafrecht 24/2022 vom 01.12.2022
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Sachverhalt
Der Vorsitzende des Schöffenwahlausschusses hat unter Hinweis darauf, dass gegen den Jugendhauptschöffen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz in drei Fällen Anklage erhoben ist und gegen ihn wegen Verstößen gegen die Maskenpflicht zwei Bußgeldbescheide erlassen worden sind, beantragt, diesen seines Amtes zu entheben und angeregt, ihm bis zur Entscheidung über diesen Antrag die Führung der Amtsgeschäfte vorläufig zu untersagen. Die GenStA ist dem Antrag beigetreten.
Entscheidung
Die Voraussetzungen einer Amtsenthebung lagen nach Ansicht des OLG nicht vor. Der Schöffe habe vorliegend keine gröbliche Amtspflichtverletzung im Sinne des § 51 Abs. 1 GVG begangen. § 51 Abs. 1 GVG sei zwar grundsätzlich – unabhängig von der ausgeurteilten Strafe – auch auf Fälle anwendbar, in denen dem Schöffen ein strafbares Verhalten zur Last gelegt werde. Dies ergebe sich daraus, dass §§ 32 Nr. 1, 52 Abs. 1 Nr. 1 GVG dahingehend keine Sperrwirkung entfalte, dass der Schöffe ausschließlich bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzung – Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten – aus dem Schöffenamt zu entfernen sei. Denn könne bereits nicht strafrechtlich relevantes Verhalten genügen, um die Voraussetzung der gröblichen Amtspflichtverletzung zu erfüllen, müsse dies erst recht gelten, wenn das Verhalten zugleich eine Strafnorm erfülle. Allein aus dem Umstand, dass die Ahndung einer solchen Tat hinter den Anforderungen des § 32 GVG zurückbleibe, lasse sich nicht der Schluss ziehen, dass der Schöffe trotz Begehung der Tat als fähig zur Amtsausübung anzusehen sei.
Eine gröbliche Pflichtverletzung im Sinne des § 51 GVG liege aber nur vor, wenn der Schöffe ein Verhalten zeige, das ihn aus objektiver Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten ungeeignet für die Ausübung des Schöffenamtes erscheinen lasse, weil er nicht mehr die Gewähr biete, unparteiisch und nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden. Als Pflichtverletzungen von besonderer Erheblichkeit kämen nach dem Willen des Gesetzgebers unter anderem verfassungsfeindliche Aktivitäten in Betracht. Der Gesetzgeber habe § 51 GVG vor allem deshalb geschaffen, um seiner Verpflichtung nachzukommen, Schöffen und Schöffinnen, die die freiheitlich demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnen oder bekämpfen, ihres Amtes zu entheben. An diesem Maßstab gemessen genüge das dem Schöffen zur Last gelegte Verhalten nicht, um eine gröbliche Amtspflichtverletzung anzunehmen: Durch die Teilnahme an den Versammlungen habe der Schöffe seine Grundrechte auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG wahrgenommen. Es sei nicht ersichtlich, dass die von ihm dabei zum Ausdruck gebrachte Ablehnung der zum damaligen Zeitpunkt staatlich angeordneten Maskenpflicht im Freien zur Bekämpfung der Coronapandemie bedeute, dass er grundsätzlich staatliche Strukturen ablehne und deshalb kein Repräsentant des Rechtsstaates mehr sein könne. Sollte der Schöffe darüber hinaus wie angeklagt Versammlungen unter freiem Himmel ohne Anmeldung veranstaltet oder geleitet haben, so würde sich hieraus nichts Anderes ergeben. Das von § 26 VersammlG unter Strafe gestellte Unrecht bestehe ausschließlich darin, dass einer behördlichen Meldepflicht nicht nachgekommen worden sei. Eine die freiheitlich-demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnende Grundeinstellung des Schöffen könne hierin nicht erblickt werden. In den Blick zu nehmen sei insoweit auch der Charakter und Verlauf dieser Versammlungen. Es habe sich ausnahmslos um friedliche Versammlungen gehandelt, die zudem im Vorfeld über soziale Netzwerke bekannt gemacht worden seien und an der nach Aktenlage lediglich zwischen 90 und 130 Personen teilgenommen hätten. Grundrechte Dritter seien nicht beeinträchtigt worden.
Praxishinweis
Der Schöffe ist im Rahmen seiner Rechtsprechungstätigkeit Repräsentant des Rechtsstaates und deswegen zur Verfassungstreue verpflichtet (BVerfG BeckRS 2008, 35425). Seine Eignung als Repräsentant des Rechtsstaates wird nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass er seine Meinungsfreiheit ausübt, indem er sich gegen staatlich angeordnete Coronaschutzmaßnahmen wendet. Dies gilt selbst dann, wenn sich die Ablehnung der Coronamaßnahmen dergestalt manifestiert, dass der Schöffe auf Montagsspaziergängen gegen die Maskenpflicht verstößt und in Verdacht steht, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ohne Anmeldung veranstaltet zu haben. Die Rechtsprechung, in die sich vorliegend auch der Beschluss des OLG Zweibrücken einreiht, nimmt damit eine Abgrenzung vor, die von den verschiedenen auf den Montagsspaziergängen vertretenen Gruppen nicht immer in dieser Klarheit artikuliert wird: Die Ablehnung staatlicher Coronaschutzmaßnahmen bedeutet nicht die Ablehnung der verfassungsmäßigen Ordnung – auch dann nicht, wenn sich der Einzelne herausnimmt, gegen das geltende Recht, etwa in Gestalt der Maskenpflicht, zu verstoßen.
Solange die Versammlung friedlich verläuft und der Schöffe keine verfassungsfeindlichen Gedanken äußert, bleibt er ein geeigneter Repräsentant des Rechtsstaates. Die Meinungsfreiheit eines Schöffen erfährt nur dort ihre Grenzen, wo dies durch die mit dem Schöffenamt verbundene Treuepflicht gegenüber dem Staat und der verfassungsrechtlichen Ordnung geboten ist. Dies ist dann der Fall, wenn seine Äußerungen einen Bezug zum Nationalsozialismus aufweisen (OLG München BeckRS 2016, 8136) oder in anderer Weise mit dem Menschenbild des Grundgesetzes in Konflikt geraten (Hassbotschaften gegen Pädophile: KG BeckRS 2016, 11959) oder er Mitglied einer nach Art. 21 Abs. 2 GG verbotenen Partei oder Organisation ist (Reichsbürger: OLG Hamm BeckRS 2017, 122498; NPD: OLG Hamm BeckRS 2019, 16962).
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14.10.2022 - 1 Ws 187/22 (AG Rockenhausen), BeckRS 2022, 30467