Urteilsanalyse
Keine Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners durch mehrmonatigen Beitragsrückstand bei Sozialversicherungsträger
Urteilsanalyse
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Bei Gläubigeranträgen ist eine behauptete Zahlungsunfähigkeit des Schuldners mit den Mitteln gem. § 294 ZPO glaubhaft zu machen. Allein aus mehrmonatigen Beitragsrückständen des Schuldners bei einem Sozialversicherungsträger ergibt sich eine solche Glaubhaftmachung nach einem Beschluss des LG Hamburg nicht.

2. Jan 2024

Rechtsanwalt Robert Straubmeier, WACH UND MECKES München

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 21/2023 vom 21.12.2023

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Sachverhalt

Die Gläubigerin beantragte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen eines Sozialversicherungsbeitragsrückstandes von mehr als sechs Monaten. Ein Vollstreckungsversuch wurde nicht durchgeführt. Dazu hatte die Gläubigerin vorgetragen, dass sie sich zur Forderungsvollstreckung an das Hauptzollamt Hamburg gewandt habe, das aber die Vollstreckung wegen örtlicher Unzuständigkeit abgelehnt habe.

Das AG wies den Insolvenzantrag wegen fehlender Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes zurück. Das LG hat dies in der Beschwerdeinstanz bestätigt.

Entscheidung

Nach der Ansicht des LG Hamburg genügt zur Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes nicht die Behauptung sechsmonatiger Sozialversicherungsbeitragsrückstände. Der „6-Monats-Indiz-Rechtsprechung“ des BGH werde nicht gefolgt. Die Gläubigerin hätte jedenfalls den Nachweis eines erfolglosen Vollstreckungsversuchs vorlegen müssen. Die behauptete Ablehnung der Vollstreckung durch das Hauptzollamt Hamburg ändere daran nicht. Die Gläubigerin hätte sich dann an das örtlich zuständige Vollstreckungsorgan wenden müssen.

Praxishinweis

Das LG Hamburg bestätigt erneut, dass es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht folgt, nach der der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit in der Regel bei einem Rückstand fälliger Sozialversicherungsbeiträge von mehr als sechs Monaten glaubhaft gemacht ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13.06.2006 – IX ZB 238/05; BGH, Beschluss vom 18.12.2014 − IX ZB 34/14). Die starke Indizwirkung eines längeren Beitragsrückstandes wird mit der Annahme begründet, dass aufgrund der Strafbarkeit nach § 266a StGB Sozialversicherungsbeiträge bis zuletzt beglichen werden. Ein sechsmonatiger Beitragsrückstand kann alleine den Schluss auf eine Zahlungseinstellung tragen. An dieser starken Indizwirkung hat der BGH trotz der im Urteil vom 06.05.2021 (IX ZR 72/20) ausgesprochenen Konkretisierung des bei der Feststellung der Zahlungseinstellung anzulegenden Maßstabs festgehalten (siehe BGH, Urteil vom 28.4.2022 –  IX ZR 48/21).

Das LG Hamburg folgt dem in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung nicht (LG Hamburg, Beschl. v. 5.5.2015 – 326 T 25/15; LG Hamburg, Beschluss vom 30.6.2010 – 326 T 40/10; LG Hamburg, Beschluss vom 25.11.2011 − 326 T 139/11; LG Hamburg, Beschluss vom 27.7.2023 – 326 T 19/23). Das LG betont den Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Öffentlich-rechtliche Gläubiger haben das Vorliegen eines Insolvenzgrundes in gleicher Weise glaubhaft zu machen wie andere Gläubiger. Die Strafbarkeit der Nichtabführung von Beiträgen ist einer von mehreren Umständen, der bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist. Zudem hält das LG Hamburg die Annahme, Sozialversicherungsbeiträge würden typischerweise bis zuletzt bezahlt, für nicht gesichert. Vielmehr dürfte ein Schuldner in der Praxis oft eher Sozialversicherungsbeiträge nicht zahlen als beispielsweise seine Warenlieferanten, um den Geschäftsbetrieb fortführen zu können.

Das LG Hamburg verlangt zur Glaubhaftmachung weitere für eine Zahlungseinstellung sprechende Beweismittel, wie das Protokoll eines fruchtlosen Vollstreckungsversuchs, entsprechende schriftliche Erklärungen des Schuldners oder eine eidesstattliche Versicherung einer sachkundigen Person zur Zahlungsunfähigkeit des Schuldners.

Dass die Hamburger Rechtsprechung einen sechsmonatigen Beitragsrückstand ohne Glaubhaftmachung weiterer Indizien nicht ausreichen lässt, sollte mittlerweile allen Sozialversicherungsträgern bekannt sein. Für eine Klärung durch den BGH müsste das LG Hamburg die Rechtsbeschwerde zulassen. Dies unterlässt das LG Hamburg jedoch mit dem standardmäßigen Hinweis auf eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, was angesichts der offenen Divergenz zur BGH-Rechtsprechung fragwürdig ist.

LG Hamburg, Beschluss vom 25.10.2023 – 303 T 15/23 BeckRS 2023, 30457