Anmerkung von
Rechtsanwalt Martin Schafhausen, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 06/2021 vom 26.03.2021
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Sachverhalt
Im Streit stehen die Kosten einer anwaltlichen Vertretung im Verfahren der Untätigkeitsklage. Wegen der Nichtbescheidung eines Widerspruchs gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid hatte die Klägerin Untätigkeitsklage gem. § 88 SGG erhoben. Das beklagte Jobcenter teilte in diesem Verfahren mit, es habe mit einem (beigefügten) Abhilfebescheid abschließend im Widerspruchsverfahren entschieden. Darüber hinaus teilte das Jobcenter mit, „das Klageverfahren dürfte sich damit erledigt haben … Der Beklagte erklärt sich dem Grunde nach zur Übernahme der notwendigen außergerichtlichen Kosten bereit“.
Mit nachfolgendem Schriftsatz erklärte die Prozessbevollmächtigte das Verfahren in der Hauptsache für erledigt, nahm das Kostengrundanerkenntnis der Beklagten an und beantragte die Festsetzung der außergerichtlichen Gebühren in Höhe von 120 EUR als Verfahrensgebühr und 108 EUR als Terminsgebühr gem. Nr. 3106 VV RVG. Der Erinnerungsführer – das ehemals beklagte Jobcenter – erhob Einwände gegen den Anfall der „fiktiven“ Terminsgebühr. Der Rechtsstreit habe nicht durch angenommenes Anerkenntnis seine Erledigung gefunden. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat durch Beschluss die außergerichtlichen Kosten antragsgemäß festgesetzt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Erinnerung des Jobcenters. Die „fiktive“ Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 2 Nr. 3 VV RVG sei nicht angefallen.
Entscheidung
Die zulässige Erinnerung ist begründet.
Eine „fiktive“ Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 2 Nr. 3 VV RVG ist nicht angefallen. Der Rechtsstreit hat nicht aufgrund eines angenommenen Anerkenntnisses ohne mündliche Verhandlung geendet. Ein Anerkenntnis liegt vor, wenn ein Beteiligter einseitig und ohne Einschränkungen erklärt, die von der Gegenseite begehrte Rechtsfolge werde zugegeben (Hinweis auf BSG vom 06.05.2010 – B 13 R 16/09 R). Das BSG hat jedoch mit Urteil vom 17.09.2020 - B 4 AS 13/20 R klargestellt, dass die Erteilung des ausstehenden Bescheides nicht ein konkludentes Anerkenntnis im gebührenrechtlichen Sinne darstellt. Unter Beachtung dieser Rechtsprechung des BSG geht die Kammer nicht mehr davon aus, dass der Erlass eines Bescheides als „tätiges Anerkenntnis“ bewertet werden kann. Vielmehr ist die ursprünglich erhobene Untätigkeitsklage durch den Erlass des Bescheides unzulässig geworden. Die Untätigkeitsklage kann nach § 88 SGG zulässigerweise nur auf die Verurteilung der beklagten Behörde gerichtet sein.
Praxishinweise
1. Erlässt die Behörde nach Erhebung einer Untätigkeitsklage einen entsprechenden Bescheid, hat sich das Klagebegehren objektiv erledigt. Es bedarf zur Beendigung des Rechtsstreits gem. § 88 Abs. 1 Satz 2 SGG der Erledigungserklärung (oder Klagerücknahme) durch den Kläger. Erfolgt eine solche Erklärung nicht, ist die Klage mittels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen. Für die Klägerbevollmächtigte lohnt es also nicht, nach Erteilung eines Abhilfebescheides das Verfahren hinauszuzögern.
2. Denkbar ist aber, dass die Behörde vor Erlass eines Abhilfebescheides schriftsätzlich ein Anerkenntnis abgibt, welches dann von dem Kläger angenommen wird. Nur dann kommt es zur „fiktiven“ Terminsgebühr (vgl. auch Hinne, ASR 2021, 21).
3. Die Erledigungsgebühr fällt nur an, wenn sich der Streit um die erstrebte Entscheidung durch anwaltliche Mitwirkung erledigt, d.h. es muss eine über die Erhebung der Klage hinausgehende Mitwirkung nachgewiesen werden (Hinne, a.a.O., 21). Für die Erledigungsgebühr ebenso wie für die Terminsgebühr kommt es also nach aktueller Auffassung nicht darauf an, ob der Leistungsträger für die Verzögerung einen zureichenden Grund angegeben hat oder nicht.
4. Das SGG befasst sich sehr ausführlich mit der Frage, ob der Schriftsatz, mit dem der Abhilfebescheid übersandt wird, als ein Anerkenntnis verstanden werden kann. Dazu bezieht sich das SG auf die umfangreiche Rechtsprechung zur Auslegung von Erklärungen der öffentlichen Hand. Abschließend formuliert das SG, dass auch die Annahme des Kostengrundanerkenntnisses nicht zum Anfall der „fiktiven“ Terminsgebühr führt.
5. Bei der Kostenentscheidung nach § 193 SGG kommt es auch für die Verfahrensgebühr darauf an, ob ein zureichender Grund für die mehr als drei- bzw. sechsmonatige Bearbeitungszeit vorgelegen hat und ob die Behörde rechtzeitig eine entsprechende Sachstandsmitteilung machte. Die Frage, ob der verspätet erlassene Verwaltungsakt inhaltlich rechtmäßig ist, ist dagegen für die Kostenentscheidung unerheblich (Jungeblut, in: BeckOK Sozialrecht, § 193 SGG, Rn. 21).
SG Berlin, Beschluss vom 01.12.2020 - S 180 SF 206/19 E, BeckRS 2020, 33552