Urteilsanalyse
Keine Erhöhung der Mindestvergütung entsprechend der Anzahl der Gläubiger in Insolvenzverfahren über das Vermögen juristischer Personen
Urteilsanalyse
urteil_lupe
© Stefan Yang / stock.adobe.com
urteil_lupe

Die Bestimmungen über die Erhöhung der Mindestvergütung entsprechend der Anzahl der Gläubiger, die ihre Forderungen angemeldet haben, sind nach einem Beschluss des BGH auf die Vergütung des Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person nicht anwendbar.

29. Okt 2021

Anmerkung von

Rechtsanwalt Stefano Buck, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 22/2021 vom 28.10.2021

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Miet- und Wohnungseigentumsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Miet- und Wohnungseigentumsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Die Schuldnerin war eines von mehreren Unternehmen einer Gruppe, die verschiedene Leistungen im Energiebereich anbot. Am 2.3.2017 beantragte die Schuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Das Insolvenzgericht bestellte den weiteren Beteiligten mit Beschluss vom 6.3.2017 zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Mit Beschluss vom 15.10.2018 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens meldeten 55.919 Gläubiger Forderungen zur Insolvenztabelle an.

Der weitere Beteiligte hat mit Schreiben vom 8.8.2019 beantragt, seine Vergütung als vorläufiger Insolvenzverwalter festzusetzen. Er hat geltend gemacht, dass die Vergütung im Hinblick auf bislang eingegangene Forderungsanmeldungen von 55.919 Gläubigern aufgrund von § 2 Abs. 2 InsVV mindestens 1.119.400 EUR betrage. Zuzüglich einer Auslagenpauschale und Umsatzsteuer hat er beantragt, die Vergütung für seine Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter auf 1.338.036 EUR festzusetzen.

Das Insolvenzgericht hat den Vergütungsantrag zurückgewiesen. Mit seiner sofortigen Beschwerde hat der weitere Beteiligte einen Gesamtabschlag von 50 % angenommen und seinen Vergütungsantrag in Höhe von 559.700 EUR zzgl. Auslagenpauschale und Umsatzsteuer, insgesamt 671.993 EUR weiterverfolgt. Das LG hat die Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgte der weitere Beteiligte seinen Vergütungsantrag weiter. Sie führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

Entscheidung

Für das weitere Verfahren verwies der Senat ua auf Folgendes hin:

Eine Erhöhung der Mindestvergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters wegen der Anzahl der Gläubiger nach § 2 Abs. 2 Satz 2, 3 InsVV komme im Streitfall nicht in Betracht. Im Hinblick auf die Vergütung des Insolvenzverwalters im Insolvenzverfahren über das Vermögen juristischer Personen sei eine teleologische Reduktion geboten.

§ 2 Abs. 2 InsVV enthalte zwei Bestimmungen. § 2 Abs. 2 Satz 1 InsVV regele die unabhängig von einer Mindestzahl von Gläubigern vorgesehene Mindestvergütung. § 2 Abs. 2 Satz 2, 3 InsVV regele eine Erhöhung der Mindestvergütung entsprechend der Zahl der Gläubiger, die ihre Forderungen angemeldet haben. Diese Vorschriften dienen in erster Linie dazu, eine Mindestvergütung in masselosen Insolvenzverfahren sicherzustellen (vgl. BGH WM 2017, 825). Sie berücksichtigen zudem fiskalische Interessen, soweit die Staatskasse für die Verfügung des Insolvenzverwalters aufzukommen habe (vgl. BGH, aaO). Die Mindestvergütung stelle sicher, dass auch in Verfahren mit minimaler Masse die Leistung des Verwalters finanzierbar bleibe (Graf-Schlicker/Steh, InsO, 5. Aufl., § 2 InsVV Nr. 6).

Diese Erwägungen seien auf Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person zugeschnitten. Hintergrund der Regelung seien die bei natürlichen Personen häufig anzutreffenden masselosen Insolvenzverfahren mit einer - absolut betrachtet - geringen Insolvenzmasse. Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person erweisen in mehreren Punkten erhebliche Unterschiede auf. Daher scheide eine Berechnung nach § 2 Abs. 2 Satz 2, 3 InsVV für die Vergütung eines Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person aus.

Praxishinweis

Soweit der weitere Beteiligte für seine Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter eine höhere als die Mindestvergütung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 InsVV begehrt, ist diese allein nach § 2 Abs. 1 InsVV zu berechnen. In Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person besteht auch ohne die Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 2, 3 InsVV eine ausreichende Möglichkeit, die sich aus der Staffelvergütung nach § 2 Abs. 1 InsVV ergebende Vergütung des Insolvenzverwalters nach Maßgabe des aus einer hohen oder auch exorbitant hohen Zahl von Gläubigern folgenden Mehraufwands dem jeweiligen Einzelfall angemessen anzupassen. Es entspricht allgemeiner Meinung, dass eine hohe Gläubigerzahl einen Zuschlag nach § 3 Abs. 1 InsVV rechtfertigen kann (vgl. BGH ZIP 2021, 1284). Maßgeblich für die Höhe des Zuschlags ist, ob die Bearbeitung den Insolvenzverwalter stärker oder schwächer als in entsprechenden Insolvenzverfahren allgemein üblich in Anspruch genommen hat (st.Rspr.; vgl. etwa BGH NZI 2017, 459).

Insbesondere kann in diesen Fällen bei exorbitant hohen Gläubigerzahlen berücksichtigt werden, inwieweit dies tatsächlich zu einem Mehraufwand für den Insolvenzverwalter geführt hat. Gerade bei sehr hohen Gläubigerzahlen kann sich die Bearbeitung der Forderungsanmeldungen vereinfachen, wenn in wesentlich gleichgelagerte Forderungen angemeldet werden, die vereinfacht nach dem stets gleichen Muster geprüft werden können (vgl. Vill, ZInsO 2020, 974). Dies gilt insbesondere, wenn das Unternehmen in der Rechtsform einer juristischen Person geführt wird, über eine ordnungsgemäße Buchhaltung verfügt und die Bearbeitung der Forderungsanmeldungen auf der Grundlage der Buchhaltung in erheblichem Umfang durch Mitarbeiter des Unternehmens erfolgt und vorbereitet wird. Hierauf wies der Senat in der Entscheidung für das weitere Verfahren ganz ausdrücklich hin.

BGH, Beschluss vom 22.07.2021 - IX ZB 4/21 (LG Bremen), BeckRS 2021, 29604