Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl
Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 02/2022 vom 26.01.2023
Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Vergütungs- und Berufsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Vergütungs- und Berufsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Vergütungs- und Berufsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de
Sachverhalt
In einem Scheidungsverfahren wurde der Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Anwältin bewilligt. Zweieinhalb Monate später teilte die Antragstellerin dem Amtsgericht mit, sie habe das Vertrauen zu ihrer Anwältin verloren, die «hinter ihrem Rücken» Vereinbarungen mit der Gegenseite getroffen habe, und bat um Beiordnung eines anderen Anwalts. Die Anwältin stimmte ihrer Entpflichtung zu, stellte aber klar, dass sie keine Vereinbarung ohne Kenntnis der Antragstellerin mit der Gegenseite getroffen habe. Es sei lediglich eine Vereinbarung zum Sorgerecht in einem Parallelverfahren getroffen worden – dies allerdings in Anwesenheit der Antragstellerin. Das AG lehnte eine Entpflichtung ab und begründete dies damit, dass ein wichtiger Grund im Sinn des § 48 Abs. 2 BRAO nicht vorliege. Dagegen legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein.
Entscheidung: Einseitige und ungerechtfertigte Vorwürfe reichen nicht aus
Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Ob die Antragstellerin überhaupt – und nicht nur ihre beigeordnete Anwältin – befugt sei, die Aufhebung der Beiordnung nach § 48 Abs. 2 BRAO zu beantragen, könne dahinstehen. Denn jedenfalls lägen wichtige Gründe im Sinn der Norm nicht vor. Voraussetzung eines wichtigen Grundes sei, dass konkrete Umstände vorgetragen und gegebenenfalls nachgewiesen werden, aus denen sich ergebe, dass eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt, weshalb zu besorgen sei, dass die Rechtsverfolgung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann. Bei der Entscheidung über die Entpflichtung sei neben dem Interesse des bedürftigen Beteiligten und dem Interesse des beigeordneten Rechtsanwalts auch das öffentliche Interesse an einer funktionierenden Rechtspflege und das Interesse der Antragstellerin an einer zügigen Erledigung des Verfahrens zu beachten.
Die Behauptung der Antragstellerin, ihre Anwältin habe ohne ihr Wissen eine Vereinbarung über eine Sorgerechtsvollmacht mit der Gegenseite getroffen, sei objektiv falsch. Tatsächlich sei diese Vereinbarung, wie sich aus der beigezogenen Akte ergebe, in Anwesenheit der Antragstellerin getroffen worden. Durch einseitige und der Sache nach nicht gerechtfertigte Vorwürfe könne die Antragstellerin das Vertrauensverhältnis nicht schädigen, um dann die Entpflichtung der vormals selbst gewählten Rechtsanwältin, die ihrerseits keinen Anlass zu einem Vertrauensverlust gegeben habe, zu erreichen. Das OLG weist noch darauf hin, dass kein Anspruch auf Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts bestehe, wenn das Vertrauensverhältnis zu dem beigeordneten Anwalt durch ein sachlich nicht gerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten der Partei zerstört worden sei und dies die Entpflichtung des Anwalts nach § 48 Abs. 2 BRAO verursacht habe. Ein solches Verlangen sei dann vielmehr rechtsmissbräuchlich.
Praxishinweis
Die Aufhebung einer Beiordnung gemäß § 121 ZPO setzt nach § 48 Abs. 2 BRAO das Vorliegen wichtiger Gründe voraus. Das ist der Fall, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant nachhaltig und tiefgreifend gestört ist (BGH, Beschluss vom 15.09.2010 - IV ZR 240/08, IBRRS 2010, 3721). In den Fällen, in denen der beigeordnete Rechtsanwalt wie nach § 78c Abs. 2 ZPO sein Tätigwerden von einer Vorschusszahlung abhängig machen darf, ist die Nichtzahlung des Vorschusses ein wichtiger Grund im Sinn des § 48 Abs. 2 BRAO (Michael Kleine-Cosack, BRAO, 9. Aufl. 2022, § 48 BRAO Rn. 2).
OLG Hamm, Beschluss vom 04.10.2022 - 11 WF 159/22 (AG Hamm), BeckRS 2022, 37340